Hotel Agnesa

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Anita Isiris

1. Das Vorstellungsgespräch

Evelyne war feuerrot im Gesicht. Das Vorstellungsgespräch in Spiez wartete auf sie; Evelyne sass mit ihrer Mutter beim Kaffee. Sie hatte sich sorgfältig zurechtgemacht; ihr frisch gewaschenes Haar duftete nach Malven; Evelyne hatte zum ersten Mal ihren engen dunklen Rock an, den ihr Vater ihr eigentlich verboten hatte. Dazu trug sie eine durchsichtige weisse Bluse.
15.00 Uhr. Es war so weit.  Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie in Begleitung ihrer Mutter vor Herrn Wengers Büro stehenblieb und zaghaft anklopfte. „Herein“, ertönte eine sonore Männerstimme. Scheu betrat Evelyne den grosszügigen Raum und setzte sich auf den breiten Stuhl, den Herr Wenger ihr zuwies. Wie war sie doch froh, dass sie ihre Mam bei sich hatte! Evelyne stammte aus dem Berner Oberland und erhoffte sich durch ihre Ausbildung zur Hotelfachassistentin in Spiez, der Enge ihres Dorfes endlich zu entkommen. Spiez war zwar auch nicht gerade der Nabel der Welt, aber immerhin. Hier gab es haufenweise Leute zum Kennenlernen, Touristen aus allen denkbaren Kulturen, Abwechslung. Genau danach sehnte die junge Frau sich brennend.

Das Gespräch dauerte eine knappe Viertelstunde; Herr Wenger gab sich sehr amtlich. Evelynes Mutter entging nicht, dass er immer wieder die Bluse ihrer Tochter fixierte. „Der Mann gefällt mir ganz und gar nicht, Liebes“, sagte sie ihr zum Abschied, „sei vorsichtig, ja?“ Aber Evelyne hörte kaum hin. Sie drückte ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange und wandte sich ihrem Gepäck zu. Der Hotelier liess es sich nicht nehmen, der neuen Auszubildenden höchstpersönlich ihr Zimmer zu zeigen. Wie sich bald herausstellte, handelte es sich eher um einen Unterschlupf, direkt unter dem Dach. Der Raum war nahezu dunkel und so schwül, dass es Evelyne erst einmal den Atem verschlug. Diffuses Tageslicht gab es nur dank einer winzigen Lukarne.

„Um 17.

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