Das Hotel

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Das Hotel

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Yupag Chinasky

Es schüttete in dieser Nacht, nicht nur aus den sprichwörtlichen Eimern. Wahre Sturzbäche überschwemmten die Windschutzscheibe seines alten Golfs und die Scheibenwischer waren heillos überfordert. Grelle, zuckende Blitze erhellten die Sintflutlandschaft, gefolgt von krachenden, tosenden Donnerschlägen, die ihn zusammenzucken ließen. Gewitter im Dezember, und was für eins! Den Verlauf der Landstraße konnte er nur dank der Katzenaugen an den Begrenzungspfählen und mit Hilfe der unterbrochenen Linie des Mittelstreifens erkennen. Er schlich im Schneckentempo dahin und hatte für die letzten Kilometer viel länger gebraucht als geplant. Jetzt hatte er von allem die Nase gründlich voll, von der Fahrerei zur so späten Stunde und von dem grässlichen Gewitter mit dem überbordenden Regen, der nicht aufhören wollte und ihm höchste Konzentration am Steuer abverlangte. Er ärgerte sich, dass er dem Drängen seiner Mutter nachgegeben und zugesagt hatte, noch vor Heiligabend zu kommen. „Warum hab ich mich nur auf diesen ganzen Stress eingelassen? Alles nur wegen diesem blöden Weihnachten, diesem Scheiß Familienfest“ dachte er bitter. Aber, wie fast immer, hatte er sich dem Drängen seiner Mutter nicht entziehen können, obwohl er, weiß Gott, noch genug zu tun gehabt hätte. Um sich der allzu liebevollen Umsorgung durch die Familie so lange wie möglich zu entziehen, war er, missgelaunt und unwillig, erst am späten Abend losgefahren. Das unerwartet einsetzende Gewitter hatte seine Laune dann noch weiter abgesenkt und als er an die Strecke dachte, die noch vor ihm lag, war sie auf einem absoluten Tiefpunkt angekommen. Sogar die Weihnachtsmusik im Radio, die er sonst ganz gern hörte, ging ihm auf die Nerven, das Gedudel von Jingle-bells und den Glocken, die heller nie klingen. Ein schlechtes Zeichen, dachte er und sehnte sich nach seiner kleinen Wohnung, seinem warmen Bett, nach Ruhe und wahrem Weihnachtsfrieden. Aber auch schon mit ein paar Stunden Schlaf in einem Hotel wäre er zufrieden. Doch es war wie verhext, seit der Regen eingesetzt hatte, war er an keinem Hotel vorbeigefahren, hatte keine Hinweistafel, keine Leuchtschrift gesehen, nichts, gar nichts. Und auch sein letzter Versuch, in der menschenleeren Kleinstadt, die er gerade durchquert hatte, ein Zimmer zu finden, war fehlgeschlagen. An der Tür der einzigen Herberge hing ein Schild: wegen Betriebsferien bis einschließlich 6. Januar geschlossen. Es war zum verzweifeln! Fluchend und gähnend schlitterte er mehr als dass er fuhr durch die Nacht, durch das Chaos der entfesselten Elemente.

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