Im Gedränge

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Im Gedränge

Im Gedränge

Yupag Chinasky

Durch das viele laufen müde geworden, setzt er sich auf die Terrasse eines der Cafés am Grand Boulevard und bestellt einen Tee. An einem der Nebentische sitzt ein alter Mann. Er bildet mit seinem zerfurchten Gesicht, dem langen Bart, der weißen Jelaba und dem kunstvoll gewickelten Turban einen interessanten Kontrast zu dem nüchternen, modernen Café. Diesen Eindruck will er festhalten, dieses Bild muss er unbedingt haben. Er nimmt die Kamera aus der Tasche, fummelt anscheinend gedankenverloren an ihr herum und richtet sie wie zufällig auf den alten Mann. Doch der sieht schon die ganze Zeit zu ihm hin und merkt, was er vor hat. Bevor er noch abdrücken kann, beginnt zu schimpfen und mit seinem Krückstock, den er zwischen die Beinen gestellt hat und auf den er seine Hände stützt, wütend auf den Boden zu stampfen. Erschrocken unterläßt der Ertappte den Versuch, den malerischen Alten zu fotografieren und steckt die Kamera wieder ein. Später, nach zwei weiteren Stunden Fußmarschs durch die Altstadt, die Märkte, die Souks, an den zahllosen winzigen Geschäften mit den bunten Auslagen und den um Aufmerksamkeit heischenden Händlern vorbei, stellt er es geschickter an. Wieder sitzt er in einem Café, diesmal am Rande des Souks. Auf der anderen Straßenseite ist eine große, schmutzig weiße Fläche, eine Plane, die eine Hausfront abdeckt. Er legt die Kamera auf den kleinen Tisch, fokussiert das Objektiv auf die weiße Fläche und stellt die Belichtung ein. Wenn immer er ein Motiv sieht, das ihn interessiert, ein vorbei hastender Mensch, eine Mutter mit drei Kindern im Schlepptau, ein Eseltreiber mit schwer beladenen Tieren, drückt er unauffällig ab. Dieses Land bietet so viele interessante Motive, so viele spannende Typen. Menschen, bei deren Anblick einem reihenweise Geschichten einfallen konnten. Es könnte eine Lust sein, hier zu fotografieren, aber statt dessen ist es mühsam und problematisch. Die Reaktionen der Menschen, wenn sie bemerkten was er tat, waren nie vorhersehbar. Aber er liebte die Herausforderungen.

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Gedichte auf den Leib geschrieben