Seinem suchenden Blick fällt nach einer Weile ein junges Mädchen auf, das er meist nur im Profil sieht, ein schwarzer Scherenschnitt vor dem braunroten Hintergrund der schwach beleuchteten Menschenmasse. Sie fällt ihm auf, weil sie einen Pferdeschwanz trägt, der ständig wippt und der sich von den Kopftüchern der anderen Frauen, der angesagten Einheitskleidung, wohltuend abhebt. Sie steht nicht allzu weit entfernt, aber meistens sieht er sie nur sehr undeutlich, ein Teil der dunklen Masse, aber immer dann, wenn der kreisende, wandernde Spotscheinwerfer sie voll trifft, ist sie klar und deutlich in seinem Fokus: ein hübsches Mädchen, eine junge, attraktive Frau. Irgend wann hat sie auch bemerkt, dass der große Fremde sie anstarrt und dass er seine Kamera auf sie richtet. Ihre Blicke kreuzen sich immer öfter und immer, wenn er in ihre Richtung sieht, schaut sie zu ihm. Vermutlich sind sie die beiden einzigen Menschen in der Menge, die nicht nur auf die Bühne starren, die etwas entdeckt haben, was noch spannender ist, als Folklore pur. Nach einiger Zeit stellt er fest, dass das Mädchen seinen Standort verlassen hat und sich langsam in seine Richtung drängt. Die Leute um die beiden herum toben, johlen, singen, pfeifen und tanzen, alles ist in Bewegung, alles in Aufruhr, alles in Extase. Der Höhepunkt des Konzerts steht kurz bevor.
Dann steht das Mädchen neben ihm, schaut ihn aber nicht an, scheint ihn völlig zu ignorieren, ihr Blick ist wie der, der unzähligen Anderen auf die Bühne gerichtet. Sie bleibt nicht lange neben ihm, sondern zwängt sich vor ihn. Sie ist natürlich viel kleiner als er und auch kleiner als die meisten anderen, die nun um sie herum sind. Sie hat Mühe, das Geschehen auf der Bühne zu verfolgen, der neue Platz ist bestimmt nicht besser als der alte. Aber sie macht keine Anstalten, wieder einen besseren Platz zu finden. Warum nur ist sie her gekommen, in seine Nähe, fragt er sich und erhält auch prompt eine Antwort.
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