Im Homeoffice

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Im Homeoffice

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Alina Soleil

Es ist schon vier Minuten nach fünf, und ich bin immer noch allein im Teams-Call mit Courtney, meiner Chefin. Sie ist seit einem halben Jahr im Unternehmen und hat in dieser kurzen Zeit schon für sehr viel Verdruss gesorgt, vor allem bei mir und meinen Kollegen aus dem Project-Office. Sie liebt sich in der Rolle einer knallharten Managerin, die es mit jedem Kerl aufnehmen kann. Ein Kollege meint, es läge daran, dass sie aus einer reichen texanischen Unternehmerfamilie stammt und ihrem Dad zeigen will, dass sie auch was drauf hat. Minutenlange Verspätungen in ihren 1:1-Calls mit Untergebenen ist nichts Ungewöhnliches für Courtney. Sie sagt, das läge an ihrem übervollen Terminkalender, weil sie für die Firma so wichtig sei. Ich würde es eher als „Allüren“ bezeichnen. Sie ist die Chefin, und das lässt sie bei jeder Gelegenheit raushängen. Natürlich erwartet sie von ihren Leuten, dass die zu den 1:1-Calls absolut immer pünktlich sind. Ihre Meetings sind (in ihren Augen) wichtiger als Termine mit Kunden und Partnern. Ganz zu schweigen von anderen internen Besprechungen. Eine kurzfristige Absage bräuchte triftige Gründe. Tot zu sein zum Beispiel. Oder in der Notaufnahme im Krankenhaus. Aber auch nur, wenn man bewusstlos wäre.

Es ist Freitagabend, der Call mit Courtney ist mein letzter Termin nach einem wahren Meeting-Marathon. Meine Freundin Eva ist schon eine Weile zuhause, ich höre sie durch die geschlossene Tür meines Arbeitszimmers fröhlich pfeifen. Wir hatten vor, gleich nach meinem Call mit Courtney irgendwo in der Altstadt essen zu gehen – wahrscheinlich macht sie sich gerade fertig für den Abend und ist deshalb so gut drauf. Höchste Zeit, dass auch ich endlich rauskomme aus dem Homeoffice. Es gibt Tage, das ist das Arbeiten von zuhause ja ganz angenehm. Denn mein Arbeitszimmer ist in Wirklichkeit unser gemeinsamer kleiner Fitnessraum, mit Yogamatte, Spinning-Wheel und Hantelbank. Ab und zu schnappe ich mir dann mal ein paar Gewichte und mach Übungen nebenbei. Oder ich dreh ne Runde auf dem Spinning-Wheel, während ich mit jemandem telefoniere. Aber heute hatte ich dazu leider keine Zeit. Zum Glück habe ich einen höhenverstellbaren Schreibtisch in meinem Arbeitszimmer, so erreiche ich an Tagen wie diesen wenigsten mein „Steh-Ziel“ auf der Apple-Watch.

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