Im Sommer

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Im Sommer

Im Sommer

Cai Huaxin

Beide:
Nachts liegen sie beieinander - oder eher nebeneinander - ganz so, wie auch an etwa 360 anderen Tagen jedes Jahr. Manchmal wundern sie sich in der nächtlichen Stille darüber, wie die Distanz zwischen ihnen so groß werden konnte. Sie versuchen sich zu erinnern, ob es einen Moment gab, ab dem sie sich voneinander entfernt hatten, um vielleicht dorthin zurück zu springen und alles anders werden zu lassen, lebendiger, aufregender. Aber sie finden diesen Moment nicht, und sie schlafen dann – mit einer leichten Traurigkeit - ein. Meist ist es kalt oder kühl. Im Moment aber brennt der Sommer seine Energievorräte auch in der Nacht ab.

Sie:
Etwas ist anders. Sicher dieser extreme Sommer, der selbst in der Nacht keine Abkühlung zulässt. Die Frau liegt unter einem sehr dünnen Laken, das sich an ihren Körper schmiegt und ihre Konturen eher betont als sie zu verdecken. Sie kann nicht einschlafen, wie schon am Tag zuvor. Die Hitze, die Dunkelheit und das dünne Laken machen ihre Haut extrem empfindlich, so dass sie jeden Lufthauch, der durch das geöffnete Fenster hereinweht, so deutlich spürt wie eine Berührung. Auch gestern lag sie auf dem Rücken, die Muskeln entspannt, aber die Nervenenden gereizt. An ihre Gedanken gestern kann sie sich nicht erinnern, sie waren sehr flüchtig gewesen und ungeordnet. Aber sie erinnert sich sehr genau, dass ihre rechte Hand irgendwann auf ihrem Bauch lag. Der war noch immer wunderbar flach, bemerkte sie überrascht, so flach, dass der Bund der kurzen Pyjamahose sich über ihren Beckenknochen spannte. Ihre Hand konnte unter den Bund hindurchtauchen, ohne ihn zu berühren. Einmal in Bewegung glitt die Hand weiter, den leichten Anstieg auf den Hügel hinauf, dort wo die weichen gekräuselten Härchen begannen. Dieses Tun schien zwar eine Richtung zu haben, aber keine Absicht zu verfolgen, und doch begann die Frau zu ahnen, dass sie sich etwas näherte, einer Erkenntnis oder einem Erlebnis. Sie rückte im Bett etwas weiter nach oben, bettete den Kopf so auf ihrem Kissen, dass sie die Bewegung ihrer Finger unter dem Laken beobachten konnte. Dann schob sie ihre Schulter etwas vor, damit die Hand eine größere Reichweite bekam. Ein Atemzug des Mannes neben ihr ließ sie kurz innehalten. Sie drehte langsam den Kopf zu ihm hin, sah aber keine Anzeichen dafür, dass er aufwachte. Sie wartete noch einen winzigen Augenblick, aber dann entließ sie ihre rechte Hand wieder aus der Kontrolle. Schon strichen die Finger wieder durch die Scham wie durch Moos, einmal drückte die Handfläche auf den Hügel und dann - ganz plötzlich und doch wie seit langer, langer Zeit herbeigesehnt - schob sich ihr Mittelfinger weiter hinunter auf die haarlose und unvergleichlich zarte Haut, noch weiter bis zur Spalte. Er drang ein, eine Fingerkuppentiefe nur, ertastet das weiche, gefaltete Fleisch, und grub noch ein klein wenig tiefer bis er plötzlich eine Feuchtigkeit aufsteigen spürte, so wie sich ein Zeh am Strand in den Sand bohrt und in einer tieferen Schicht auf das Seewasser trifft. Die Frau musste scharf einatmen, sie hatte vor Erregung ein oder zwei Takte lang keine Luft geholt und das zischende Geräusch ernüchterte sie etwas. Sie zog rasch die Hand zurück. Sie war verwirrt. Ihr Herz pochte, der Atem beruhigte sich nur langsam. Eine solche Expedition hatte sie noch nie unternommen. Warum nicht?, fragte sie sich fassungslos. Sie war erwachsen, und keinesfalls prüde. Und warum tat sie es jetzt doch? Sie sah sich noch einmal nach ihrem Mann um. Er schlief. Ihm war offenbar nicht heiß. Ihre Gedanken blieben ungeordnet, aber sie ahnte, dass sie eine Tür geöffnet hatte und vermutlich hindurchgehen würde. Irgendwann schlief sie ein.

Auch heute Nacht ist sie immer noch irritiert. Den Tag über konnte sie sich nicht konzentrieren, weder auf die banalen Dinge des Lebens, noch auf die Erinnerung an die letzte Nacht. Als die beiden sich schlafen legen ist es immer noch heiß, und das Laken ist dasselbe dünne wie gestern. Sie bemüht sich gar nicht erst, einzuschlafen, sondern wartet mit steigender Erregung darauf, dass seine Atemzüge flacher und langsamer werden. Sie tippt ihn sacht an die Schulter: Keine Reaktion mehr, endlich, er schläft. Wieder macht sich ihre rechte Hand auf den Weg, genauso behutsam wie gestern, aber doch viel zielgerichteter, entschlossener. Sie denkt, ich bin 39, wie kann das sein, dass ich so viel Zeit gebraucht habe zu merken, dass es etwas zu entdecken gibt, das so nahe liegt. Und schon schlüpft die Hand wieder unter den Gummizug der Pyjamahose hindurch, kriecht durch das Moos und liegt dann auf der feinen, zarten Spalte. Auch das Grundwasser ist schnell wieder gestiegen, es ist ölig, weich, nicht kalt wie am Meer und es macht die Haut noch geschmeidiger als sie ohnehin schon ist. Der Mittelfinger erkundet die Spalte, gleitet an den Seiten entlang, auch tiefer hinein, fördert noch mehr Öl zu Tage, verschmiert, verreibt es auf den wenigen trockenen Stellen weiter außen. Dann trifft der Finger auf den angeschwollenen Vorsprung weiter oben. Die Frau zuckt bei der direkten Berührung kurz zusammen, dann lässt sie den Finger um den Schaft des Vorsprunges kreisen. Der Zeigefinger greift auch ein, sie teilen sich die Seiten, fahren immer häufiger auch über die Knospe, und das ist beinahe zu viel, es überreizt die Nervenenden. Wieder vergisst sie zu atmen, und muss dann zwei, drei tiefe, schnelle Züge nachholen, ihren Puls spürt sie im ganzen Körper, sie hofft, dass die Erschütterungen sich nicht in die Matratze fortsetzen. Schläft er noch? Sie sieht ihn an, aber nimmt seinen Zustand kaum wahr. Wahrscheinlich würde sie jetzt weiter massieren, selbst wenn er sie unmittelbar ansähe. Ihre Kehle wird trocken, sie muss schlucken und keuchen zugleich. Ihre Finger kreisen weiter, reiben, drücken, schmeicheln den überreizten Nervenknoten und die ganze tropfnasse Furche. Die Bewegung wird schneller, rhythmischer und dann, dann fühlt es sich an als sei sie mit großem Anlauf über eine Klippe gesprungen, und einen kurzen schwerelosen Moment schwebt sie über dem Abgrund frei in der Luft. Sie drückt ihre Beine ganz durch, die Zehen verkrampfen, und mit einem langen, tiefen Stöhnen überlässt sie ihren Körper dem lockenden Abgrund. Kein Aufprall folgt, nur eine weiche Landung wie in Zeitlupe.
Ihr Kreislauf beruhigt sich langsam wieder. Sie empfindet kurz den Wunsch, den Mann zu umarmen, ihn zu küssen und zu halten, aber sie tut es nicht, sondern schläft entspannt und erfüllt, aber auch mit einem leichten Bedauern ein.

Er:
Er überlegt, ob große Hitze auch akustische Fata Morganas hervorrufen kann, denn sonst müsste er annehmen, dass das, was er gestern wahrgenommen hat, tatsächlich passiert ist. Sie lagen im Bett, es war schon sehr spät, aber immer noch heiß. Eine längere Zeit nach dem Löschen des Lichtes hatte er bei seiner Frau eine Bewegung gespürt, keine Drehung im Schlaf sondern etwas bewusstes, gesteuertes, und auch ein schwereres Atmen meinte er zu erkennen, aber er war nicht sicher. Vielleicht kratzte sie sich nur, und nur die Hitze ließ ihn etwas aufregendes herbei fantasieren. Bei dem Gedanken, dass seine Frau sich selbst berühren könnte, war er kurz unschlüssig, empfand die Vorstellung dann aber als ausgesprochen erregend, obwohl es auch ein offensichtliches Zeichen dafür wäre, dass sich die Distanz zwischen den beiden weiter erhöht hatte. Bei solcher Hitze hatten sie sich früher immer besonders ungehemmt geliebt.
Er hatte sich weiter auf die Bewegungen konzentriert, aber nicht zweifelsfrei bestimmen können, ob sie von ihr kamen, oder von seinem eigenen Puls. Irgendwann war er sich sicher, dass sie nichts tat außer unruhig zu schlafen, und so verblasste die eingebildete Szene.
Heute Nacht ist seine Vorstellung sofort wieder präsent, und so kommt wegen seiner Spannung keine Schläfrigkeit auf. Stattdessen sondieren seine Sinne die Dunkelheit. Zuerst ist da nur der Luftzug von draußen und sonst perfekte Stille, aber er wartet weiter. Seine Spannung steigt als sie sich einmal langsam zu ihm umdreht, wie um zu prüfen ob er schläft. Und dann - tatsächlich - spürt er durch die Matratze ein winziges Beben. Das bin nicht ich, denkt er elektrisiert. Sie tut es wirklich. Kurz darauf folgt die endgültige Bestätigung: Sie muss plötzlich mehrfach zischend ein- und ausatmen, weil sie einige Sekunden lang die Luft angehalten hat. Der Mann bewegt sich nicht, öffnet nicht mal die Augen. Er ahnt, dass diese Szene sehr flüchtig ist, geradezu schreckhaft. Dabei wüsste er wahnsinnig gerne, was genau sie eigentlich macht. Wo gleiten ihre Finger entlang? Hebt sie ihr Becken der Hand entgegen? Wie ist der Ausdruck auf ihrem Gesicht? Zu seiner großen Erregung gesellt sich plötzlich noch eine weitere Empfindung: Er fühlt sich gedemütigt. Warum bittet sie nicht mich, das zu tun? Traut sie es mir nicht zu? Ist es so schöner für sie? Wie oft hat sie das schon getan, so ganz frech direkt neben mir? Die Gedanken verwirren ihn. Wider Erwarten senken sie seine Erregung nicht, im Gegenteil, die Demütigung schmeckt...süß. Irgendwann berührt sie seine Schulter, wohl um noch einmal sicherzugehen, dass er nicht mittendrin erwacht, und tatsächlich kostet es ihn viel Energie, bewegungslos liegen zu bleiben. Sie verstärkt ihre Massage, die Erschütterung des Bettes ist nun deutlich zu spüren. Ihr Atem geht schnell und stoßweise. Seine Erregung ist sicher kaum geringer als ihre, und das Rauschen des Blutes in seinen Ohren ist so laut wie der letzte, lange Seufzer, mit dem sie von sich ablässt. Während sie sich langsam wieder beruhigt, kämpft er mit dem Impuls, sich zu ihr hinzudrehen, und sie zu umarmen. Er ringt den Impuls nieder und verbleibt in seiner selbst gewählten Lähmung, bis der Moment vergangen ist.

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