Elias betrachtete sie immer mit einer gewissen Scheu, und ganz sicher wäre er ihnen niemals zu nahegetreten, den Touristinnen, die sich Jahr für Jahr, Saison für Saison wie flüssiger Sirup über Samos ergossen. Elias arbeitete auf seiner Heimatinsel im Strassenbau, und es war für ihn ein Privileg, überhaupt einen Job gefunden zu haben in den schwierigsten Zeiten, seit Griechenland beinahe einem Staatsbankrott anheimgefallen war. Elias wusste, dass diese Frauen, die dem Flugzeug meist in Begleitung eines Partners entstiegen, von weit herkamen. Zum Teil hatten sie an die 20 Flugstunden oder mehr hinter sich, und Elias, der nichts auf der Welt mehr liebte als Frauenkörper, hätte sämtliche Jahre seines Lebens dafür gegeben, der einen oder anderen von ihnen das Kreuz zu massieren. Vor allem die Michaelis-Raute, dieses Elysium göttlicher Schöpfung, hatte es ihm angetan. Hätten die Frauen davon gewusst, oh ja, sie hätten sämtliche Jahre ihres Lebens dafür gegeben, sich von einem wie Elias das Kreuz massieren zu lassen, und sie hätten es zugelassen, dass er ihre Michaelis-Raute bewunderte, nach einem nie enden wollenden Flug. Die Sommerhitze hatte mal wieder den Asphalt in weiten Teilen des Flughafens aufreissen lassen, und Elias, dessen schönes griechisches Antlitz ein Schweissfilm überzog, fühlte sein Herz bis in die Ohren pochen, als die angekommenen Paare, zum Teil auch mit Kindern, an ihm vorbeizogen, während er kurz innehielt, um mit gesenktem Blick die eine oder andere Frau zu mustern, und zwar bis ins letzte Detail. Elias hatte eine Leidenschaft, die sein ganzes Leben bestimmte und ihm womöglich auch das Recht gab, bei den Frauen ganz genau hinzuschauen. Elias war Kunstmaler, wenn er diese Leidenschaft auch für sich behielt.
Sein ganzes Sehnen und Streben galt dem Meer, der zischenden Gischt, den Fischerbooten, dem Hafen des vertrauten Pytagoreion, denn dort war Elias aufgewachsen, in einem bitterarmen Haushalt, mit zwei Schwestern, und die kargen Lebensumstände hatten es den drei Geschwistern verunmöglicht, so etwas wie frühe Jugend zu erleben oder schon nur daran zu denken.
Im Tunnel von Eupalinos
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Im Tunnel von Eupalinos
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Der Tunnel von ...
schreibt Huldreich