Im Zeichen des Wassermanns

Episode 10 aus: Rückkehr nach Ruteberg

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Im Zeichen des Wassermanns

Im Zeichen des Wassermanns

Andreas

Manuela lag auf ihrer Matratze, die sich im unteren Bereich des Stockbettes befand. Das Jahr 1965 war noch jung, doch schien es, als warteten erhebliche Veränderungen auf sie und ihre Mitschülerinnen. Manu las in einer Zeitschrift, die von einer neuen Bewegung berichtete. Es war von Hippies die Rede, jungen Menschen, die der bürgerlichen Gesellschaft aus freien Stücken den Rücken kehrten. Manu las von selbstbestimmter Liebe und Drogen, die das Bewusstsein erweitern sollten. Die Überschrift des aufrührerisch anmutenden Artikels war in bunten Lettern gedruckt: Nun beginnt das Zeitalter des Wassermanns! Die Autorin bezog sich auf eine Gruppe junger Menschen, die in San Francisco neue Lebensformen ausprobierte. Das deutsche Schulmädchen las von den Byrds und dem Duo Simon and Garfunkel. “Turn!Turn!Turn!“ oder “Sound of Silence“. Manuela fand schon die Titel der Lieder aufregend. Sie dachte kaum noch an ihr Abitur, das sie auf dem angesehenen Schlossinternat Ruteberg ablegen sollte. Manu betrachtete die Bilder, auf denen junge Frauen in Mini-Röcken neben anderen in wallenden Kleidern zu sehen waren. Es schien alles erlaubt zu sein und Manu wünschte, dass sie wenigstens in London leben könnte, wo die Luft ebenfalls zu brodeln schien. Es wurde auch von neuen englischen Bands berichtet. Am besten gefiel Manuela eine Gruppe, die sich Small Faces nannte. Wobei die Band um den ekstatischen Sänger Steve Marriott zu den sogenannten Mods gehörte. Mod oder Hippie? Für Manuela war diese Fragestellung uninteressant! Es gab so viele Möglichkeiten, um sich von der langweiligen Erwachsenenwelt abzugrenzen und Manu war bereit, diese oder jene auszuprobieren. Manus Aufregung steigerte sich noch, da eine ehemalige Schülerin das Internat besuchte. Theresa Borowka nutzte die Ferien, um einen Abstecher in die Heimat mit einem Treffen auf Schloss Ruteberg zu verbinden. Manu bewunderte die Künstlerin, die unter dem Namen Resa erste Erfolge feierte. Manuela war froh, dass sie und Greta die Ferien auf dem Internat verbringen durften. Gerade durch Resas Eintreffen bestärkte sich in den jungen Frauen der Wunsch nach Veränderung. Mittlerweile war auch Margot wieder im Lande. Der kurze Ski-Urlaub war Vergangenheit, was Maggie aus vollem Herzen bedauerte.
Hubert hatte ihr jedoch versprochen, dass er sie bald besuchen wolle. Maggie freute sich über diese Ankündigung. Sie empfand etwas für Hubert, das man durchaus Liebe nennen konnte. Theresas Ankunft versüßte ihr den Abschiedsschmerz. Maggie saß auf dem Beifahrersitz des Internatseigenen Transporters neben dem Hausmeister Herr Ludwig, als sie Theresa am Bahnhof abholten. Maggie hätte Resa fast nicht wieder erkannt. Theresas ungebändigte Haare reichten ihr bis zu den Hüften, die durch eng geschnittene Blue Jeans betont wurden. Um sich vor der Winterkälte zu schützen, trug Resa eine dunkelblaue, gefütterte Männerjacke, die knapp ihren Po bedeckte. Theresa Borowka sah wie einer dieser angesagten Stars aus, von denen Margot in den Illustrierten las. Sie kam sich wie ein etwas hässliches Entlein vor, als der vermeintliche schönere Schwan namens Resa in ihre Arme fiel.

„Hi Maggie! Es ist so schön, dich wieder zu sehen. Mein Gott, wie lange ist das schon wieder her?“
„Es sind tatsächlich einige Jahre vergangen, Resa! Du siehst toll aus…solche Kleidung bekommt man wohl nur in den angesagten Londoner Boutiquen!“ Theresa küsste ihre frühere Mitschülerin, ehe sie erwiderte. „Ja, das mag schon sein, aber du brauchst dich auch nicht zu verstecken! Ich sehe eine hübsche, junge Lehrerin, die sehr geschmackvoll gekleidet ist. Weißt du, Maggie, es ist manchmal auch anstrengend, wenn ständig Fotografen auf der Lauer liegen. Seitdem ich den Plattenvertrag unterschrieben habe, steigen die Erwartungen, was auch mein Auftreten betrifft. Dabei will ich einfach meine Songs spielen!“ Resa gab Herrn Ludwig ein Küsschen auf die Wange, der sich daraufhin errötend um ihr Gepäck kümmerte. Maggie setzte sich während der Rückfahrt neben Resa, damit sie sich unterhalten konnten. Theresa flüsterte Margot etwas zu. „Ich bin neugierig, Maggie, da es mich immer noch stark beschäftigt. Werden die Mädchen immer noch bestraft, wenn sie etwas angestellt haben?“ Margot sprach ebenso leise, als sie ihrer Freundin antwortete. „Nein, oder sagen wir besser, eigentlich nicht mehr. Züchtigungen gibt es nur noch in seltenen Ausnahmefällen. Hedwig Reiser ist ja nun Direktorin und sie will neue Wege gehen, was ich und die meisten Kolleginnen auch sehr gut finden!“ Resa grinste frech. „Und was ist mit einem Kollegen namens Stefan Bühler? Ist der nun auch zum Popovoll-Gegner geworden?“ Die Lehrerin hörte den frivolen Unterton in Theresas Frage. Sie erinnerte sich an Gerüchte, die damals umhergingen. Herr Bühler hätte der neuen Schülerin namens Theresa Borowka den Rock gelüftet und ihr womöglich gar den blanken Po versohlt. Margots Stimme bebte zart, als sie Resa darauf ansprach. „Ich kann mir vorstellen, dass dich das wundern würde! Nein, Stefan Bühler hält an den alten Methoden fest, aber er wurde halt überstimmt. Du kannst dir ja bald selbst ein Bild machen, Resa. Es sind einige Schülerinnen im Internat geblieben, die während der Ferien nicht nachhause konnten. Ich bin mir sicher, dass sich manche auf deine Ankunft freuen werden. Die Mädchen schwärmen nicht nur für die Beatles, sondern zum Teil auch für Sängerinnen wie Joan Baez oder eben auch für eine junge Songwriterin namens Resa…“ Herr Ludwig parkte den Transporter vor dem Haupthaus des Schlossinternats. Resa fand, dass sich kaum etwas verändert hatte. Hinter den Vorhängen sah sie einen Schatten, der offenbar einem jungen Mädchen gehörte. Manu und Greta bewunderten die schöne Frau, die der Direktorin die Hand reichte. Dies war also Resa, die seit einem Jahr große Erfolge auf Londons Bühnen feierte. Manu fragte sich, ob sie auch Hiebe bezogen hatte, als sie hier ihr Abitur ablegte? Nun kamen Sabine und Petra ins Zimmer, die sich ebenfalls um das Fenster scharten. „Ist sie das?“, fragte Bine. „Ja, sie steht neben Fräulein Majewski. Schau nur ihre coolen Klamotten an! Ist das eine Herrenjacke, die sie da trägt?“ Sabine strich über Petras Po. „Sie sieht sehr schön aus! Ich kann mir denken, dass sie viele Freundinnen hatte, als sie auf Schloss Ruteberg ihre Schulzeit verlebte!“ Manu lachte. „Na ja, vielleicht auch einen Freund! Es soll ja auch Mädchen geben, die auf Kerle stehen!“ „Freche Göre!“ zischte Bine, wobei das nicht ganz ernst gemeint war. Die Mädchen vertrieben sich hin und wieder die Zeit miteinander, während zum Beispiel Susanne und Martina eine echte Beziehung zueinander pflegten. Das Verhältnis dieser beiden Schülerinnen ging in eine ernstere Richtung, während die lesbischen Spielchen der anderen Mädchen eher der Langeweile geschuldet waren. Natürlich beobachteten auch Susi und Martina die Ankunft der Sängerin. Die Freundinnen waren begeistert, was auch an Resas modernen Klamotten lag. Hedwig fand Theresas Kleidung etwas unpassend, sagte aber nichts dazu. Sie mochte die junge Frau schon damals, als sie auf das Internat kam. Die Direktorin führte den Gast ins Lehrerzimmer, wo Resa auch auf Magda und Stefan traf. Magda umarmte ihre frühere Schülerin, zu der sie ein besonderes Verhältnis pflegte. Stefan musterte Resa kritisch, nachdem er ihre Hand schüttelte. Theresa bemerkte es. „Gefällt ihnen denn meine Kleidungswahl nicht, Herr Bühler?“ Stefan wurde tatsächlich rot, worüber er sich ärgerte. „Doch, doch…sie ist nur etwas ungewöhnlich. Wie ich höre, haben sie nun in der Musikbranche Karriere gemacht. Wollten sie nicht einmal Kinderärztin werden?!“ Resa schien überrascht zu sein, dass Herr Bühler sich daran erinnerte. Sie dachte an Julius, ihren damaligen Freund. Was hatte sich nicht alles ereignet, seit sie einen ganz anderen, ihren eigenen Weg eingeschlagen hatte! Herr Bühler erinnerte sie irgendwie an Julius. Er gehörte auch zu den Bedenkenträgern, wie sie ihn damals mit einem Grinsen gern aufgezogen hatte.

„Ja, ich wollte Medizin studieren, habe aber nach wenigen Semestern die Universität wieder verlassen. Meine Eltern waren nicht glücklich mit meiner Entscheidung, aber für mich ist Musik mein Lebensinhalt. Ich möchte mit meinen Liedern dazu beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ohne Kriege, Hunger oder soziale Ungerechtigkeiten. Ich sehe ihnen an, dass sie diese Hoffnung als naiv ansehen. Na ja, vielleicht ist sie es ja auch!“ Magda lenkte ab, indem sie Kaffee ausschenkte. Stefan betrachtete Resa. Sie war sehr attraktiv und er ertappte sich bei der Vorstellung, wie er sie als Schülerin übers Knie gelegt hatte. Damals war sie sehr unsicher gewesen, was auch mit dem frühen Tod ihres Bruders zusammenhing. Zudem hatte sich das Mädel in ihren Lehrer verguckt. Theresa erinnerte sich auch daran, wenngleich sie diese Gefühle nicht mehr nachvollziehen konnte. Stefan gehörte zu den konservativen Männern, mit denen Resa nicht mehr viel gemein hatte. Dennoch war sie ihm dankbar! Durch seine strenge Hand auf ihrem bloßen Popo hatte er ihr damals die Augen geöffnet. Resa lernte über Stefans Schoß, dass ihr Selbstmitleid schädlich war. Im Grunde bläute er ihr Selbstvertrauen ein, wenngleich sie eine solche Vorgehensweise ablehnte. Trotzdem blieb ein leiser Kitzel, den sie nun innerhalb ihres Höschens spürte. In diesem Moment entgegnete Stefan. „Sie irren sich, Theresa! Ich schätze ihre Musik mehr als sie denken. Mit diesen Beatles, oder noch schlimmer diesen verwahrlosten Rolling Stones kann ich nichts anfangen, aber ihre Lieder berühren mich. Wenngleich ich es schöner fände, wenn sie diese in einem hübschen Kleid zum Vortrag brächten!“ Resa lachte, wobei sie die Situation entspannte. Während es manche Anekdote zu erzählen gab, überlegte eine Schülerin fieberhaft, wie sie zu einem bestimmten Erlebnis kommen konnte. Greta juckte das sprichwörtliche Fell, seit sie zu den Schülerinnen des Internats gehörte. Die knapp 18-Jährige wollte endlich wissen, wie sich eine Körperstrafe anfühlt. Greta hatte sich dafür den einzigen männlichen Lehrer ausgeguckt, dem sie zudem eine solche Maßnahme zutraute. Greta berichtete weder Manu noch den anderen Mädchen von ihrem Vorhaben. Am Tag nach Theresas Ankunft stand ihr Entschluss fest. Greta schlich sich aus dem Schlafraum, um hinter der Scheune eine Zigarette zu rauchen. Greta wusste, dass Herr Bühler um diese Zeit eine Runde drehte. Er blieb mit Margot, Magda und Fräulein Reiser auch während der Winterferien auf dem Schlossinternat, da es doch insgesamt 12 Mädchen gab, die ihre Ferien auf Ruteberg verbringen mussten. Für Mädchen in diesem riskanten Alter schien der Betreuungs-Schlüssel von einer Lehrkraft auf drei Schülerinnen durchaus angemessen. Stefan steckte sich gerade eine Reval zwischen die Lippen, als er den typischen Nikotingeruch in die Nase bekam. Seine Zigarette brannte noch nicht, so dass er aufmerksam wurde. Das Rauchen war nur an bestimmten Stellen gestattet, wobei auch die Uhrzeit eine Rolle spielte. Kurz vor Mitternacht, noch dazu vor der brandgefährdeten Scheune war Qualmen sicherlich nicht gestattet. Stefan ließ das Feuerzeug in der Manteltasche, als er sich langsam in Richtung des Rauches schlich. Vor der Scheune stand ein Mädchen, dessen rötlicher Haarschopf unter einer wärmenden Zipfelmütze steckte. Stefan Bühler erkannte Greta, die sich eine dicke Jacke über die Schuluniform gezogen hatte. Das Mädchen zog verbissen an der zur Hälfte gerauchten Kippe, als wollte sie-auf Teufel komm raus-jemanden anlocken. Gretas Plan schien perfekt aufzugehen, da Stefan Bühler mit festen Schritten aus seiner Deckung hervorkam. Er klang wütend!

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