Im Zwielicht seiner Wohnung

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Im Zwielicht seiner Wohnung

Im Zwielicht seiner Wohnung

Chloé d'Aubigné

Nein, es musste anders laufen. Er würde mich hinaufbitten. Unter einem Vorwand, beiläufig, so wie er alles tat. Vielleicht eine kleine Sache, bei welcher er Hilfe benötigte. Oder etwas, das er mir zeigen wollte, ein neuer Tisch, ein Buch. Was es war, spielte keine Rolle. Wichtig war nur: Seine Wohnung, oben, eine Etage entfernt von meinem Alltag.
Dort kein Kinderspielzeug, keine verstreuten Socken, kein Geruch von Familienleben. Stattdessen dieser Hauch von etwas anderem: Junggesellentum, Minimalismus, eine Spur Unordnung, die nichts mit Kindern, sondern mit allein gelebter Freiheit zu tun hatte. Ein Wohnzimmer mit einer Ledercouch, ein Couchtisch, auf dem Reste eines Abends standen – Gläser, vielleicht ein noch geöffnetes Magazin. Eine Küche, die nach ihm roch, nach Kaffee, nach Gewürzen, nach Resten von Rotwein.
Vor allem aber ein Schlafzimmer, das sein Besitzer nicht für Gäste vorbereitete. Kein frisch gemachtes Bett, kein abgestimmtes Nest aus Farben und Emotionen. Stattdessen ein Raum, der von keiner anderen Geschichte erzählte als von seiner.
Ich sah ihn, wie er die Tür hinter mir schloss, beiläufig wie immer. Wie er schwieg, im Halbschatten voranging, mich mit einer Geste folgte lassen, selbstverständlich, ohne auch nur über Legitimierung nachzudenken.
Dort begann es. Seine Nähe, sein Atem, sein Kuss – jetzt nicht mehr in meiner Küche, nicht mehr auf meinem Teppich, sondern in seinen Räumen, in diesem klar abgesetzten Reich, das von mir nichts forderte außer Hingabe.
Seine Wohnung war, so stellte ich sie mir vor, von einem Halbdunkel erfüllt, das nicht absichtlich geschaffen, sondern einfach da war. Die Vorhänge ein wenig zugezogen, da sie einfach nicht ordentlich geöffnet worden waren. Etwas Staub auf den Lamellen der Jalousie – nicht viel, nur genug, dass das späte Tageslicht gebrochen ins Zimmer fiel.

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