Der Anruf meiner Schwester traf mich unvorbereitet. Sabines Arbeitgeber kam zu dem Schluss, dass sie eine Fortbildung nötig hatte. Der Termin wurde kurzfristig festgelegt, ohne auf Sabines persönliche Situation einzugehen. Meine Schwester gehört zu den bewunderungswürdigen Frauen, die Beruf und Kinder unter einen Hut bekommen. Sabine blieb auch nichts anderes übrig, da der Vater meiner Nichten bereits vor Jahren verschwunden ist. Lena und Anni waren Zwillinge, die mittlerweile das 18. Lebensjahr erreicht hatten. Die Mädchen besuchten das örtliche Gymnasium, wo sie sich auf ihr Abitur vorbereiten sollten. Ich wusste von Sabine, dass die jungen Frauen wenig bis gar keinen Ehrgeiz entwickelten, um dieses Ziel erfolgreich erreichen zu können. Sabine sorgte sich, da das Seminar eine Woche andauerte. Sie wollte die Mädchen nicht so lange alleine lassen, zumal sie den beiden zutraute, dass sie die Abwesenheit der Mutter ausnutzen konnten. Sabine ist meine älteste Schwester, während ich das Jüngste von insgesamt vier Geschwistern bin. Ich bin 38 und nach wie vor Single. Mein Job als freiberuflicher Online-Redakteur lässt mir etliche Freiheiten, die ich als einfacher Angestellter sicher nicht hätte. Meine Wohnung ist geräumig, verfügt zudem über ein großes Gästezimmer. Meine Nichten waren schon früher bei mir zu Gast, wenn Sabine etwas Ruhe brauchte. Wir verstehen uns bestens und ich habe meine ältere Schwester immer gerne unterstützt. Sabine wurde letztes Jahr 50 und steht mitten im Berufsleben. Meine große Schwester scheut keine Auseinandersetzung, was auch für den familiären Bereich gilt. Ich weiß, dass Sabine auf strenge Maßnahmen setzt, wenn alles “ gut zureden“ nicht hilft. Sie scheut sich nicht, ihre Töchter mit Hausarrest zu belegen, wenn diese über die Stränge schlagen. Sabine ist da fast schon ein Einzelfall, aber was bleibt ihr auch anderes übrig?
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