In Lenkas Wohnung

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In Lenkas Wohnung

In Lenkas Wohnung

Anita Isiris

Aber weil das Leben immer weiter geht, bauten sie wieder auf, die Menschen, räumten auf, entsorgten, was zu entsorgen war, und restaurierten, was es zu restaurieren galt. Das Besondere an Lenkas Zeit war die Tatsache, dass sich die Menschen an frühere Jahre zurückbesannen, Jahrzehnte, von denen sie glaubten, dass man sorglos gelebt, geliebt und genossen hatte. Das war mitunter ein Grund, dass die Männer wieder Hüte trugen, dass Bücherläden wie Pilze aus dem Boden schossen und dass sich die Frauen, so sie es denn vermochten, auf Calida-Baumwollunterwäsche stürzten. „Liebestöter“, hätte man in den 2020er Jahren verächtlich dazu gesagt – aber die solide Baumwolle schützte vor Blasenentzündungen, und die Qualität der Wäsche war derart, dass Calida noch Jahre nach dem Zukauf problemlos verwendet werden konnte. Die Wäsche war nicht durchscheinend, wurde nie fasrig und behielt sogar ihre ursprüngliche Farbe, azurblau oder so.
Lenka kauerte auf ihrem Sofa und strich sich durchs gelockte, dunkle Haar. Von ihrer anstrengenden Arbeit in der Wäscherei war sie derart erschöpft, dass sie sich nicht mehr von der Stelle zu bewegen vermochte – obwohl sie der Hunger plagte.
Hungrig war aber nicht nur Lenka, sondern noch jemand anderes. Im Keller desselben Hauses wohnte ein älterer Mann, Long John, ein baumlanger Kerl mit rauer Schale aber, tief drinnen, mit einem todtraurigen, melancholischen Herzen. Und dieser Long John war Lenka verfallen, seit er sie zum ersten Mal gesichtet hatte, ihre Silhouette nur, im fahlen Licht der ärmlichen Petroleumfunzel, die im Korridor, wegen der undichten Haustür vom Wind bewegt, hin und her pendelte.
Long John arbeitete längst nicht mehr und hoffte noch immer Tag für Tag, dass ihn jemand aus seinem Traum erwecken würde. Wehmütig dachte er an die Zeit zurück, als die Schweiz, topographisch und auch ökonomisch gemütlich in Europas Schoss eingebettet, als Paradies galt.

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Dalí – Frau am Fenster

schreibt Venus

Witzig, dass ich dieses Bild, das ich auch als "Mädchen am Fenster" kenne, gerade in dieser Umgebung wiedertreffe. Es ist erst wenige Wochen her, dass ich in einem Schreibforum eine Kurzgeschichte geschrieben habe, in der unter anderem dieses Bild im Mittelpunkt steht. Interessanterweise ist das Modell dieses Mädchens die damals etwa zwanzigjährige Schwester Dalís Ana-Maria. Viele Leute kennen dieses Gemälde gar nicht, weil es nicht so typisch für den Künstler ist. Es stammt aus seinen Jugen- und Anfängerjahren. Wie du schreibst, der Arsch dieses Mädchens bildet den zentralen Blickpunkt. Ich beginne die Geschichte mit dem Satz: "Versonnen blickte ich auf den Hintern der jungen Frau, die aus dem Fenster aufs Meer schaut." https://www.bookrix.de/_ebook-franck-sezelli-maedchen-mit-schmetterlingen/

unglaublich anregend

schreibt michael_direkt

Liebe Anita, wer hat nicht schon mal aufgrund einer begehrenswerten Person Fantasien entwickelt? Solche "Reisen" können sich ganz schön real anfühlen! Vielen Dank für Dein Meisterwerk mit dieser Thematik! Ich nabe es sehr genossen! Alles Gute und lieben Gruß, Michael

Gedichte auf den Leib geschrieben