In tiefen Tunneln

4. Teil aus Professor Doctor P. Orn

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In tiefen Tunneln

In tiefen Tunneln

Peter Hu

Orn hatte es sich gerade im Kantinenzelt bequem gemacht, als auch schon die schöne Sabin herein schneite. Schneite? Nein, sie schwebte geradezu durch den Raum. Die harten Raubeine der ersten Schicht schmolzen förmlich dahin.
Bereitwillig boten ihr die erschöpften Gentleman auch sogleich selbstlos einen Platz in ihrer Mitte an.

Die Männer waren merklich ausgehungert. Seit Monaten hatten sie kaum eine Frau gesehen (bei der Wilhelm waren sie sich nicht ganz sicher, aber auf jeden Fall nervös, auch wenn sie alles mitbrachte, was man bei einer Frau erwartete; einmal abgesehen von der übermenschlichen Körperkraft). Das nächste Bordell war eine volle Tagesreise vom Camp entfernt. Und es gab in der heißen Phase der Eilgrabungen auch kaum eine Möglichkeit, dieses Haus der amourösen Dienstleistung auf die Schnelle zu erreichen...

So überschlugen sich die Kavaliere erwartungsgemäß, der Süßen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Kaum verwunderlich, wenn man einen Blick auf jene Regionen ihres Körpers warf, die nicht von den großzügigen Tropenshorts bedeckt waren. Dazu hatte sie das Hemd nicht ohne Berechnung über dem Bauchnabel geknotet. Die kleine Tätowierung machte mächtig Eindruck. Im teuersten Hotel von Oranga, wäre sie wahrscheinlich auch nicht zuvorkommender bedient worden. Herrschte in einer kantine nicht eigentlich Selbstbedienung?

Träumte sie schon wieder? So viele harte Männer, die Sabin wie einer Göttin huldigten. Schwielige Hände glitten immer wieder wie zufällig über ihre blanke Haut.
Triumphierend warf sie einen stolzen Blick zum Tisch des Professors herüber.
Der beobachtete die Szene nur säuerlich aus den Augenwinkeln.
Und Alis Spott tat ein Übriges:
„Wieder nicht den richtigen Ton gefunden? ...Mach dir nichts dr‘aus. Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. Und schließlich: Daheim an der Uni wartet ja ein ganzer Korb voller Körner auf dich. Jedenfalls, wenn ich deinen Erzählungen Glauben schenken darf“, ...zwinkerte der Assistent.
„Ich glaube, ich werde bei Zeiten auch mal mein Glück bei Sabin versuchen. Da gibt sie sich schon solche Mühe her zu kommen. Und der feine Herr weiß es noch nicht einmal zu schätzen... Ich weiß genau, dass sie jetzt den qualifizierten Trost eines einfühlsamen Orientalen braucht“, ...setzte er zwinkernd nach.
Natürlich hatte der Orientale eine besondere Schwäche für Blondinen.
„Du verstehst es eben nicht, mit Frauen umzugehen“, ...stichelte Ali weiter.
„Blumen helfen immer“, lachte er und pflückte auch schon ein paar Gänseblümchen, die zufällig im Zelt neben dem Tischbein wuchsen...

„Du bist wirklich ein Frauenversteher, Ali Eben Jussuf“, ...pflichtete ihm Franziska Willhelm im Basston bei.
In munterer Kampfeslust, gesellte sich die Grabungsleiterin an ihren Tisch.
„Blumen helfen immer. Erinnere mich gar nicht mehr, wann ich den letzten Strauß bekommen habe. Und Orni ist auch nicht auf die Idee gekommen. Statt dessen hat er mich auf der Herfahrt zum Ringkampf herausgefordert. ...Ist schon in der zweiten Runde in die Knie gegangen.“ ...Breit grinste Frau Doktor Wilhelm zum anschwellenden Gelächter der gesamten Mannschaft.

Dieser Tiefschlag hatte gesessen, auch wenn sie mit einem zwinkernden Auge gescherzt hatte. Sein Humorkontingent war an diesem Morgen sehr spärlich ausgefallen.
Ali hatte das schon bemerkt. Er verhielt sich inzwischen verdächtig still. Denn Porni konnte sich in einen wahren Sklaventreiber verwandeln, wenn er schlechter Laune war. Und Anspielungen auf seine Manneskraft konnte er überhaupt nicht leiden.

Der Vorarbeiter von der ersten Schicht besaß aber nicht das Feingefühl des Orientalen. Statt es bei dem Gelächter zu belassen, goss er nun auch noch Öl ins Feuer. Mit eindeutigen Gesten wies er zuerst auf seinen mächtigen Bizeps, ...und dann auf seinen polierten Schädel, den er als Beweis für eine Überdosis Testosteron wertete.
Sabinstieg auch noch auf das Spiel ein und schmiegte sich auch noch an den gewaltigen Bullen, als könne sie sich keinen schöneren Mann vorstellen. Vielleicht die Nachwirkungen des vergangenen Traumes?...

Hinter Sabins Rücken machte der Kerl jetzt auch noch obszöne Zungengesten in Richtung seiner Männer. Damit beleidigte er nicht nur den Professor.
Zunächst lachten die Rauhbeine von „Der Ersten“ noch über den schlechten Witz.
Doch als Porni nervös an seinem berühmten Ochsenziemer zu spielen begann, wurde den meisten Männern allmählich klar, dass sich ein fürchterliches Gewitter zusammen zog. Aber eine ordentliche Schlägerei zum Frühstück, konnte ja auch recht unterhaltsam sein...

Die Enttäuschung war riesig, als der Professor darauf nur in der Luft knallen ließ, und das Frühstück für beendet erklärte.

Mit mehr als unzufriedenem Murren, griffen die Männer zu Hacken und Schaufeln. Der Schuss des Vorarbeiters war eindeutig nach hinten losgegangen. War hier doch von vorn herein klar, wer hier das Sagen hatte. Statt einer handfesten Schlägerei, gab es jetzt nur ein verkürztes Frühstück und mehr Schweiß an der Schippe...

Auch Sabin erhielt ihre Strafe, indem der Professor ihr Pinsel und Bürste in die Hand drückte. Jetzt konnte sie den ganzen Tag über am Grotteneingang stehen, und die geförderten Knochen und Scherben schrubben, anstatt etwas wirklich aufregendes auszugraben. Den Job hatte sie sich wirklich aufregender vorgestellt. Mit riesigem Schmollmund ging sie ans Werk...

Natürlich liebte sie Porni noch immer heiß und innig. Sie hatte die Anzeichen der Eifersucht deutlich in seinen Zügen gelesen. Und er hatte sie verteidigt, als der glatzköpfige Riese sie beleidigt hatte. Sie hatte sein Zungenspiel sehr wohl im Spiegelbild des polierten Teekessels gesehen. Ihr Held hatte für ihre Ehre zur Peitsche gegriffen. Das tat gut...
Aber warum war er dennoch so gemein zu ihr? Schließlich war sie ihm aus Liebe in die Gefahr gefolgt. Was fiel ihm nur ein, sie dafür zum Dank auch noch zu degradieren? ...Aber Porni sah so teuflisch gut aus, auf seine Art...
Trotzdem war Sabin jetzt sauer. Sie wünschte ihm augenblicklich nur die übelsten Mißgeschicke an den Hals: „Sollte ihn doch der Stollen verschlingen. Ihr wäre es nur recht...

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...Während die schmollende Blondine also eifrig schrubbte und katalogisierte, wagte sich Professor Orn mit seinem getreuen Assistenten in die verschlungenen Labyrinthe der unterirdischen Tempelanlage vor. Damit die klugen Männer sich nicht darin verliefen, legten sie alle paar Meter eine bunte Glaskugel aus. Genau so, wie sie es von Hänsel und Gretel gelernt hatten. Nur eine verbesserte Version des alten Wissens. Denn bekanntlich ging das mit den Erbsen damals ja doch schief. Hänsel und Gretel landeten seinerzeit um ein Haar im Backofen der bösen Hexe, weil die Vögel die Erbsen aufgefressen hatten.
Professor Orn aber, hatte ja lange studiert. Seine bissfesten Glasperlen, würden nicht von irgendwelchen dämlichen Vögeln verschlungen werden.

Aber unser weiser Professor hatte die Rechnung ohne die regionalen Eingeborenen gemacht. Die kannten das angeblich frisch entdeckte Labyrinth genau so gut, wie ihre eigene Schurztasche. Den verschollenen Tempel nutzten sie noch immer für ihre religiösen Feierlichkeiten, …oder auch nur, um mal gemütlich abzuhängen, ohne vom Weißen Mann gestört zu werden.

Der Weiße Mann mochte sein, wie er wollte, ...seine Glasmurmeln waren irgendwie hübsch. Mit großer Freude sammelten die kleinen Männer deshalb auch diese freundlichen Gaben ein, um sie ihren Mädchen zu schenken...

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...Der Entdeckerdrang sog Porni immer tiefer in seinen Bann. Was war so schlimm an diesen Fallen. Man brauchte doch nur den Fußspuren zu folgen...
Ali mahnte immer wieder zaghaft zur Vorsicht. Doch wer hört schon auf einen Weisen aus dem Morgenland?
Orn ignorierte die verstaubten Gerippe seiner Vorgänger schlicht. Auch wenn sie schon der Kleidung wegen, für sich genommen, äußerst historisch waren. Manche trugen sogar noch rostige Rüstungen.
Aber Porni hatte nur noch Augen für die großartigen Gemälde und Schriftzeichen, welche die grob behauenen Stollenwände vielerorts zierten. Inzwischen befand er sich in einer Art Rausch.
Welch gewaltige Leistungen diese angeblich doch so Primitiven Indios doch schon vor Jahrtausenden vollbracht haben. Der Professor wurde immer euphorischer.
Ali blickte sich indessen immer nervöser in den doch recht gefährlichen Gängen um. Gerade hatten sie eine Pfeilfalle passiert, die nur nicht losgegangen war, weil die Sehnen seit Jahrhunderten verrottet waren...

„Sollten wir nicht lieber langsam umkehren?“ ...flüsterte der Assistent mit ängstlich bebender Stimme.
„Was ist, wenn unsere Lampenbatterien den Geist aufgeben?“

„Ach, keine Sorge,“ ...winkte der Forscher unerschrocken ab.
„Aus den getrockneten Kleiderresten unserer Vorgänger, lassen sich prima Fackeln machen. Und so ein bleicher Oberschenkelknochen, gibt einen recht passablen Fackelstiel ab.

„Manchmal ist er mir richtig unheimlich“, ...raunte Ali besorgt.
„Verrückt ist das bessere Wort. Ich weiß gar nicht, warum ich diesem Irren immer wieder folge…
„Es muss an der vorzüglichen Bezahlung liegen“, ...fuhr er in seinem nervösen Selbstgespräch fort…
„Manchmal bist du wirklich eine richtige Hure“, ...schalt sich der Begleiter lautstark, dass sein Chef es nicht überhören konnte.

Doch Professor Orn drang unbeirrt in seiner Entdeckungswut, immer tiefer in den verfluchten Berg ein. Irgendwo musste es doch schließlich eine Hintertür zur Schatzkammer geben...
Die Glasmurmeln waren ihm inzwischen ausgegangen. Er behalf sich jetzt mit Streichhölzern. Schließlich mussten Alis Hemdknöpfe herhalten. Schließlich seine Schnürsenkel, …am Ende sogar zwei Stiftzähne…
Als die Grubenlampen schon zu dämmern begannen, ...und Ali nahezu hysterisch auf Rückzug drängte, ...stieß der Professor auf etwas Eingang-ähnliches...

Mit seinem Schweizer Taschenmesser (einfacher Ausführung), suchte Orn im Gefüge des Gesteins nach einem versteckten Riegel.
Und tatsächlich! Nach einigem Kratzen traf die Klinge auf einen beweglichen Widerstand.
Einmahl, ...zweimal, ...dreimal, ...drückte der Professor aus verschiedenen Winkeln dagegen.
...Es tat sich nichts.
Er war schon kurz vor der Aufgabe, als ein letzter Versuch zu einem erraschenden Ergebnis führte. Einem Ergebnis allerdings, das so gar nicht das Gewünschte war.
Der gelockerte Riegel bewirkte etwas höchst unerfreuliches. Denn plötzlich tat sich der Boden unter ihnen auf. Das Fallen schien kein Ende zu nehmen. Und die vollständige Finsternis verstärkte den Effekt...

Nur der über die Jahrhunderte gut funktionierenden Ausscheidungstätigkeit von Generationen von Fledermäusen war es zu verdanken, dass die Helden unerwartet weich landeten…
Trotzdem jammerte Ali in allen Dialekten des Orients. Er war sich vollkommen sicher, dass er seine Heimat nie wieder sehen würde.
Im schwachen Schein der einzig verbliebenen Taschenlampe, leuchtete Orn derweil die Decke ab. Die Falltür hatte sich hinter ihnen wieder geschlossen. Sie war so perfekt gearbeitet, dass man die Fugen nicht mehr erkennen konnte…
„Wir sitzen in der Falle“, ...stellte Orn wissenschaftlich trocken fest.
„Aber keine Sorge mein Freund, es könnte schlimmer kommen. Wenigstens muss es hier einen Luftspalt geben. Sonst kämen die Fledermäuse ja nicht herein.“

„O, wie tröstlich“, ...bemerkte Ali spitz.
„Dann werden wir also nur an Hunger und Durst sterben. Das bringt ein bisschen Abwechslung in unsere langweilige Familientradition. Meine Vorfahren starben seit drei Generationen ausschließlich im Bett...“

„Wir werden nicht verhungern“, ...beruhigte der Professor.
„Fledermaus soll gar nicht so übel schmecken. Und dort tropft Wasser von der Decke. Es dauert in jedem Fall noch ein Zeitchen, bis es wirklich kritisch für uns wird“...

„Das dachten sich diese beiden Jungs sicherlich auch“, ...stöhnte Ali entgeistert.
Er deutete auf zwei Gerippe, die noch in ihren Spanischen Rüstungen steckten.
Wie im Leben, saßen sich die Kameraden beim Würfelspiel gegenüber. In ihrer Mitte eine zerlaufene Kerze. Ein Felsvorsprung hatte sie vor dem Fledermauskot geschützt. Nur die dicke Staubschicht und das bleiche Lächeln der blanken Schädel verriet, dass jegliches Leben aus ihnen gewichen war. Einer hatte sogar noch den Würfelbecher in der ledernen Handschuhhand.

...Der Lampenschein wurde zusehends schwächer.
„Zigarette?“ ...Orn zog ein zerknittertes Päckchen aus der Brusttasche.
„Ja, bitte“, ...erwiderte Ali müde.
Lustlos steckte er sich den Tabakstab zwischen die Lippen und wartete vergebens auf Feuer.

„Die Streichhölzer liegen leider alle als Wegweiser im Tunnel,“ ...entschuldigte sich Orn verlegen.

„Wirklich großartig! ...Wirft der Herr Professor einfach so die Streichhölzer weg. ...Und das auch noch, wo er noch nicht einmal ein Feuerzeug dabei hat. ...Soll ich jetzt die Fledermausscheiße so lange aneinander reiben, bis sie Flammen schlägt?“ ...Ali war mehr als gereizt.

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