Ina und die Querflöte

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Ina und die Querflöte

Ina und die Querflöte

Anita Isiris

Ina war mit ihrem ganzen Herzen bei den alten Menschen im kleinen Dorf, sie buk, säte und erntete Früchte, schneiderte und nähte Kleider aus Stoffballen, die das Meer angeschwemmt hatte, aber in all den Jahren hatte Ina etwas gefehlt. Sie hätte es nicht benennen können, und unterdessen war sie bereits zwanzig Jahre alt. Malinga gab ihr im Grunde alles, was sie zum Leben brauchte. Holz, um sich in kalten Nächten zu wärmen, seltsame kleine Felltiere, deren Namen sie nicht kannte, mit denen sie spielen konnte, Meeresfrüchte, die sie direkt aus dem Wasser zog und sich in den Mund steckte. In warmen Nächten setzte sie sich mitten im seichten Strandwasser auf ihren Lieblingsfels und hörte zu, was das Meer ihr zu erzählen hatte. Es waren viele lustige Geschichten dabei, aber eben auch traurige, von verschollenen Schiffen, was Ina das Herz schwer machte.
Sie ging zurück zu ihrer Hütte, begab sich in den Schneidersitz und setzte die silberne Flöte an ihre Lippen, so, wie sie es bei Makalu, dem jüngsten Mann im Dorf, gesehen hatte. Er mochte es aber nicht, wenn ihm jemand beim Flötenspiel zusah, und er war ein brummiger Einsiedler, obwohl er mitten im Dorf wohnte.
Aber Ina spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Das Anblasloch befand sich nämlich nicht oben am Instrument, sondern an der Seite. Ina hatte eine Querflöte gefunden! Es schien sich um ein sehr altes Instrument zu handeln, und der Stimmkorken, den Ina im Tubusinneren entdeckte, war durch das Salzwasser ein bisschen angefressen. Ina holte Luft und blies in die Flöte. Diese blieb allerdings stumm. Traurig liess Ina die Arme sinken. Sie hatte sich das einfacher vorgestellt. Um die Menschen im kleinen Dorf nicht zu wecken, beschloss sie, am kommenden Tag einen Ausflug ans andere Inselende zu unternehmen, an den Farbsteinstrand, wie sie ihn nannte.

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