Invokation

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Elmar Woelm

Auszug aus einem Roman von Elmar Woelm mit dem Arbeitstitel „Der Falke“

Es war kurz vor Mitternacht, als sie endlich das Haus verlassen hatte. Die Luft war lau und roch angenehm frisch nach dem heftigen Regen. Sie hatte schon befürchtet, sie müsste ihr Vorhaben einen weiteren Monat verschieben. Das hätte bedeutet, einen weiteren Monat dem Prinzip der Mondin zu folgen, ohne sich mit ihr vereinigen, ohne ihre Kraft ganz und gar in sich verankern zu können. Einen Monat lang musste sie sich der Energie der weiblichen Mondgöttin widmen, ihren Tagesablauf nach ihr ausrichten und auf jede erdenkliche Weise dieses Prinzip verinnerlichen, das Prinzip der großen weißen Göttin. Sie hatte sich in dieser Zeit jeder Sexualität enthalten müssen, um dann all ihre Energie ihr opfern zu dürfen, sich mit ihr zu vereinigen, und dadurch von ihr alles zu empfangen, wie eine Jungfrau den Samen ihres frisch vermählten Gemahls, gebunden wie diese, befruchtet, und schwanger mit all dem, was das Leben für sie bedeutsam machte.
Dann hatte vor einer Stunde der Regen aufgehört und der Himmel brach auf. Sie war lange nicht mehr so erregt und so erwartungsvoll glücklich gewesen. Sie trug ein weißes Kleid, und eine schlichte Silberkette mit neun kleinen Monden daran. Außer dieser Kette und dem weißen Kleid war ihr kein Schmuck, keine Bekleidung erlaubt. Sie musste barfuß gehen, und genoss das Gefühl des Bodens unter den nackten Füßen. Ihr Haar war offen und fiel weit über die Schultern hinab; glänzend die Strahlen des Mondlichtes spiegelnd. Es war Brauch, sich nicht die Haare zu schneiden, bis sie die Zyklen vollendet hatte.
Neun Zyklen, neun Jahre!
Damals hatte sie nicht geahnt, dass sie diese Perioden viel schneller durchlaufen würde; sie hatte ihre Bestimmung noch nicht gekannt. Wie rasend hatte sich all das entwickelt!
Es war, als wies ihr die runde Scheibe der weißen Göttin den Weg. Zumindest war sie ihre stetige Begleiterin. Die junge Frau kannte den Weg. Es war der Weg zu jener Quelle, die am Knotenpunkt zwischen den beiden Energielinien entsprang, die den Bramberg durchzogen. Der Pfad führte sie erst zu dem kleinen Bächlein, und dann an diesem entlang den Berg hinauf. Oben befand sich eine sumpfige Lichtung inmitten des Waldes, die so nass war, dass keine Bäume dort wuchsen. Die Bramquelle war eine der ältesten heiligen Quellen. Niemand aus der Bevölkerung wagte sich bei Nacht hierher, weil der Ort als unheimlich galt.

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