Irmgard, die Hübschlerin

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Irmgard, die Hübschlerin

Irmgard, die Hübschlerin

Anita Isiris

Jetzt lag aber Irmgard, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen, unter dem Stadtvogt. Sein Gesicht war hochrot, er schnaufte und stellte sich zwischen ihren Beinen, wie die meisten Liebhaber, sehr ungeschickt an. Nicht jedem war Irmgard eine Lehrmeisterin. Meistens liess sie „es“ einfach geschehen, seufzend zwar, aber ihr Seufzen wurde von den Männern als Stöhnen fehlinterpretiert. „Gefällt es Dir, Hure“, war dann der Satz, den sie zu hören bekam. Am Unterträglichsten waren die demütigenden, obszönen Äusserungen, die sie von den edlen Herren zu hören bekam. „Gib mit Deine Euter, Hure“, oder „mach die Schenkel breit, Nutte“, oder „geile Schweinefotze, ich fick Dein Spundloch“. Einen kleinen Rest Sensibilität und sprachliche Affinität hatte sich Irmgard im Innersten ihrer Seele bewahrt, und der Einzige, der das zu verstehen schien, war Sebastian. Er flüsterte ihr Gedichte ins Ohr, Lieder von Walter von der Vogelweide. Er sprach von „Vögeln“ und nicht etwa von „Ficken“, was sie als sehr hässlichen und lieblosen Begriff einordnete. Er suchte Worte, um Irmgards feuchtes, junges Geschlecht zu benennen. „Müschelchen“, „Orchidee“, „Liebesparadieschen“, „Goldstück“. In der Tat nannten viele von Irmgards Kolleginnen, allesamt Hübschlerinnen, ihre Muschi „Goldstück“, was ja den Tatsachen entsprach. Damit verdienten sie letztlich ihren Lebensunterhalt und liessen speziell den Schamlippen und der Vagina sorgfältige Pflege, etwa mit Ringelblumensalbe, gemischt mit Liebstöckel und Krauseminze, angedeihen.

Der Stadtvogt brach erschöpft über Irmgard zusammen. Sein schweissnasser Kopf sank auf ihren Hals, weswegen sie sich angeekelt unter ihm hervor arbeitete. Seine Augen waren verdreht, wie sie erschreckt feststellte, seine Arme hingen schlaff herunter. Irmgard, ihres Zeichens auch des Heilens kundig, stellte nach dem kurzen Palpieren des Pulses des Stadtvogts Tod fest. Sie erstarrte.

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Gedichte auf den Leib geschrieben