Wenn das die Magd erfuhr, die sie nach dem Schäferstündchen immer mürrisch zur Haustür begleitete, war sie erledigt und würde im Keller des Ziegelturms, des Stadtgefängnisses, ausharren müssen – bis sie dann vom Büttel zum Schandpfahl gezerrt und in aller Öffentlichkeit nackt ausgepeitscht würde. Bevor man sie, genau so nackt, aufs Rad flocht. Dabei würde sie von weiteren Stadtbütteln befingert, denen die Lust ins Gesicht geschrieben stehen würde. Stadtbüttel waren auch nur Menschen, klar – Gerichtsabgeordnete übrigens auch. Aber Irmgards nackte Brüste und ihr blondes Vlies, wehrlos preisgegeben, würde zuviel sein für sie alle. Auch für die Gottesmänner natürlich, die Mönche, die mit ihr ein letztes Gebet sprechen würden. „Irmgard, Gott zum Wohlgefallen… gib Dich mir noch einmal preis, bevor ich Dir die letzte Beichte abnehme. Gott und die Seinigen werden es Dir danken, Du kommst dann nicht in die Hölle, sondern in eine Zwischenhölle, wo es etwas weniger heiss ist. Für den Himmel wird es nicht reichen… aber für die Zwischenhölle. So, und jetzt, Gott zum Wohlgefallen, werde ich Dich ein letztes Mal ficken. Bück Dich über den Beichtstuhl, jaaah, Irmgard, so ist’s recht… zeig mir Deine Pflaume, ich spreize sie jetzt, jaaaa… welch Elysium, welch süsser Duft… ich nehm Dich jetzt, Irmgard… ein letztes Mal, bevor Du aufs Rad geflochten wirst… mir kommt’s gleich… ich zünde eine Kerze an, für Dich, Irmgard, nur für Dich… aaaaahmen!“
Irmgard sah nur eine einzige Möglichkeit. Der Schmuck, den sie sich jeweils um den Hals legen musste, bevor der Stadtvogt an ihr zugange gewesen war, behielt sie an. Die offene Schatulle, in der sich bis zum Rand Edel- und Halbedelsteine befanden, Smaragde und Rubine, schloss sie mit einem dumpfen Klappen und versteckte sie unter ihrem Rock. Sie wandte sich um und deckte den verkrümmt im Bett liegenden Stadtvogt mit der Leinendecke zu. Klopfte sachte an die Tür des Schlafgemachs. Wie immer, empfing die Magd sie mürrisch. „Mach dass Du das Haus verlässt, Hure“, zischte sie und stiess Irmgard vor die Haustür – direkt in Sebastians Arme.
Der Rest ist rasch erzählt. Mit zwei Maultieren machten Sebastian und Irmgard sich auf den Weg und verliessen Konstanz, mitten im 14. Jahrhundert. Die Büttel am Stadttor sahen ihnen fragend nach, hielten sie aber nicht auf. Nach mehreren Tagereisen, in Strassburg, bauten die beiden sich ein neues Leben auf. Irmgard gebar ihrem Geliebten Zwillinge, ein Sohn und eine Tochter, und bald lag ihr Hübschlerinnen-Leben hinter ihr. Immer mal wieder unterhielt sie aber, Abends, vor dem Kaminfeuer, ihren Gemahl mit erotischen Erzählungen aus ihrer beruflichen Vergangenheit. Darussen röhrten die Maultiere. Sachte wiegten Irmgard und Sebastian ihre kleinen Kinder, jedes in einer schmucken Holzwiege. Ein lauer Wind wehte zarten Kräuterduft in die Wohnstube – Kräuterduft aus Irmgards Gärtchen, das sie liebevoll hegte und pflegte.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Gott zum Wohlgefallen.
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