Isabella

Agnes' Haus der sündigen Engel

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Isabella

Isabella

Stayhungry

Keine Angst mehr hielt sie ab von dem, was sie sich ersehnt hatten vor mehr als dreißig Jahren. Nun waren sie erfahren, Erwachsene, Anfang Fünfzig, mancher Illusion beraubt, aber mit geschärftem Gespür für das Wahre, Wertvolle, hungrig nach Leben, dessen Begrenztheit sie im Verlust geliebter Menschen schon erfahren mussten. Nein, nichts ließ sie zögern, aber unausgesprochen waren sie sich einig, dass dieser wunderbare Moment, auf den sie ein halbes Leben zu warten hatten, nicht in Hektik, Tatendrang, überstürztem Handeln beschädigt oder zerstört werden sollte. Diesem Moment sollte Ewigkeit beschieden sein. Sie küsste sich seinen Hals hinunter auf die Brust, öffnete die Knöpfe seines Hemdes, half ihm, sich auszuziehen, dann sanken sie auf das Bett.

Sie zu riechen, sie zu spüren, es war, als wäre kein Tag vergangen.

*

Ein Wiedersehen mit der ersten großen Liebe. War sie dies nur vermeintlich, dann mag die Begegnung ernüchternd sein, vielleicht auch deshalb, weil Menschen sich verändern. Hat sie beide aber im Herzen berührt, dann ist dies unauslöschlich und der reife Blick in die Augen des Anderen überwindet die Distanz vieler Jahre in der Dauer eines Lidschlages.

Isabella, die Göttin seines ersten zarten Erwachens, dem Beginn der sinnlichen Begegnung mit dem anderen Geschlecht, ohne dass sie ihrer beider Sehnsucht je vollends zu erfüllen wagten, den Mut aufbrachten, die nächste Grenze zu überschreiten, miteinander zu schlafen. Zu mächtig war die Sehnsucht, zu überwältigend das Gefühl des liebevollen Verlangens, als dass hier etwas hätte, schiefgehen dürfen. Es sollte wunderbar werden, und darum schoben sie es hinaus in ihrem Alltag aus Sehnsucht, Leidenschaft, Streit und Versöhnung, liebenswert, unsicher und schüchtern, wo andere schon in derber Weise prahlten.

Verschmust war sie, aber verschlossen. Also hatte er hellhörig zu sein, zu achten auf ihre Empfindungen, ihr Seufzen, ihren Atem, die Kraft ihrer Umarmung, und das war ihm Lust, nicht Last. Im alltäglichen Leben war diese Wortlosigkeit schon belastender, und irgendwann hatte er das Gefühl, sie habe sich vollends aufgegeben, um ihn nicht zu vergraulen. Er war überfordert, nicht reif genug, ihr Freiraum zu verschaffen. So verließ er sie, obwohl er sich so nach ihr sehnte. Anders, so fühlte er, könnten sie dem Verhängnis gegenseitiger Verletzungen nicht mehr entrinnen. Denn er sehnte sich auch und vor allem nach einer starken und unabhängigen Frau. Dann wäre er nicht immer für das Gelingen verantwortlich, müsste nicht stets in Missstimmungen lesen und nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum ihre Wünsche ergründen, über die sie beharrlich schwieg, deren Nichterfüllung aber nicht folgenlos blieb.

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