Draußen tobte ein Sturm. Windböen peitschten die Zweige der Kastanie gegen die Scheiben. Susann wälzte sich unruhig hin und her. Im Dunkeln tastete sie nach dem digitalen Wecker, 4:30 Uhr. Sie griff nach Michels Buch, das neben ihr auf dem Nachttisch lag. Sie schlug die erste Seite auf und strich zärtlich über die krakelige Schrift:
„for Susann – Michel Houllebecq“.
Sie blätterte es durch und begann zu lesen:
…
„Weißt du eigentlich, warum du den Frauen gefällst?
Er murmelte eine unverständliche Antwort.
„Denn dass du den Frauen gefällst“, sagte Olga nachdrücklich, „das weißt du doch, wie ich mal annehme. Du bist ein recht hübscher Kerl, aber daran liegt es nicht, Schönheit ist fast nebensächlich. Nein, der Grund ist ein anderer.“
„Sag es mir.“
„Es ist ganz einfach. Weil du einen sehr intensiven Blick hast. Einen leidenschaftlichen Blick. Und das suchen Frauen mehr als alles andere. Wenn sie im Blick eines Mannes Energie und Leidenschaft entdecken, dann finden sie ihn verführerisch.“
…
Als Jed zehn Jahre später Houllebecq gegenüber saß, wurde ihm klar, dass auch dessen Blick etwas Leidenschaftliches, ja geradezu Entrücktes hatte. Bestimmt hatte er in einigen Frauen eine glühende, vielleicht sogar eine äußerst stürmische Liebe geweckt.
… [so] schien es wahrscheinlich, dass sich einige von ihnen in dieses gequälte Wrack verliebt hatten.“
…
Nein! Susann war mit einem Schlag knallwach. Er weiß es! Dieser geniale Hurensohn weiß es ganz genau. Präzise hatte der Autor von Karte und Gebiet seine Wirkung auf Frauen beschrieben. Exakt diesem Phänomen war Susann seit nunmehr drei Wochen zum Opfer gefallen. Sie schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Sie lief ein paar nervöse Schritte in ihrer kleinen, höhlenartigen Wohnung auf und ab. Dann schnappte sie sich das Handy. Nachdem sie den Sicherheitscode eingegeben hatte tippte sie eine SMS.
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