Nur seine langjährige Sekretärin wagte es, ihn anzusprechen als er sich durch die Menschenmenge auf dem Stand schlängelte und wies ihn vorsichtig darauf hin, dass die Dame von der Stiftung bereits seit einer geschlagenen halben Stunde im Besprechungsraum auf ihn wartete. Seufzend erklomm Richard die Treppe in den oberen Stock, öffnete schwungvoll die Tür und erstarrte mitten in seiner Begrüßung.
„Ruth!“
Die Frau, die bis zu diesem Moment am Besprechungstisch gesessen hatte, fuhr auf und sah genauso überrascht aus, wie er sich fühlte.
„Ruth!“
Er stürzte auf sie zu und ergriff ihre Hände. Kalt waren ihre Finger und in ihren Augen spiegelte sich seine eigene Verblüffung wieder.
„Richard“ stotterte sie, „das muss ein Irrtum sein. Ich bin mit Herrn Habermann verabredet.“
Ihr Gegenüber grinste erleichtert darüber, sie so unverhofft gefunden zu haben und erwiderte:
„Den vertrete ich. Aber ich sollte eigentlich Frau Wilhelms treffen.“
Ruth nickte „Frau Wilhelms ist leider erkrankt und ich bin statt ihrer hier.“
Richard grinste noch immer wie ein kleiner Junge, der gerade einen Jahresvorrat an Gummibärchen geschenkt bekommen hatte und hielt ihre Hände in den seinen.
„Ruth, ich bin so froh, dass ich dich sehe“ sprudelte es aus ihm heraus. „Gestern hat es ein schlimmes Missverständnis gegeben das ich sofort aufklären möchte.“
Noch immer erschrocken über Richards plötzliches Auftauchen und durch seine Worte misstrauisch geworden, wich Ruth ein Stück zurück und entzog ihm ihre Hände.
„Was meinst du damit, Richard?“
Er setzte sich auf die Kante des Besprechungstischs, fuhr mit der Hand durch seine widerspenstigen Locken und räusperte sich, bevor er sprach.
„Ruth, ich will ehrlich zu dir sein. Gestern Abend habe ich eine Dame von einem Escort-Service erwartet. Als du vor der Tür standest, und ich muss zugeben, dass du genau meinen Erwartungen entsprochen hast, habe ich dich für sie gehalten. Erst als mich die Agentur heute Morgen anrief und dafür entschuldigte, dass die Dame, die ich bestellt hatte, den Termin wegen einem Unfall nicht wahrnehmen konnte und ich mir danach meinen Jaguar angesehen habe, ist mir klar geworden, dass ich dich verwechselt habe. Ruth“ er stockte und sah ihr tief in die Augen, „was ich zu dir sagte, war ehrlich nicht ernst gemeint!“
Ruth wich noch ein Stück zurück bis sie die Wand in ihrem Rücken spürte und ihre Unterlippe begann zu zittern.
„Was hast du nicht ernst gemeint“ fragte sie ihn vorsichtig.
Richard lächelte entschuldigend „natürlich das mit dem Schadenersatz. Ich hätte dir niemals einen solchen Vorschlag gemacht, wenn ich gewusst hätte, wer du bist und das du wirklich meinen Wagen gerammt hast!“
Bestürzt senkte Ruth den Kopf und Tränen schossen in ihre Augen.
Dieser verdammte Schweinehund!
Und sie war drauf und dran gewesen, sich in ihn zu verlieben!
Dass er sie für eine Prostituierte gehalten hatte erschreckte sie zwar, war aber noch verkraftbar. Aber wo sollte sie denn jetzt bloß das Geld für die Reparatur seines Wagens hernehmen?
Salzige Feuchtigkeit lief über ihre Wangen und Richard erbleichte, als sie den Kopf hob. Hass und Schmerz blitzten aus ihren Augen und schlagartig wurde er sich bewusst, was er doch für ein riesengroßer Trottel war. Wie hatte er ihr nur erzählen können, dass er sie für eine Nutte gehalten hatte! Und was sollte er jetzt weiter sagen? Ruth, ich war zwar der Meinung, dass du eine Prostituierte bist, habe mich aber trotzdem in dich verliebt?
Jaguar
6 31-48 Minuten 1 Kommentar

Jaguar
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Die Verwechslung
schreibt BunoLionHunter