Jaguar

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Zina Straudt

„Ruth“ er streckte bittend die Hand nach ihr aus, aber sie schlug sie mit einer hastigen Bewegung zur Seite.
„Nein“ flüsterte sie tonlos. „Fassen sie mich nicht an.“
Dann drehte sie sich abrupt um und ging hoch erhobenen Hauptes zur Tür. Richard sah ihr wie erstarrt nach und zuckte zusammen, als sie ihre letzten Worte zu ihm sprach, bevor sich die Tür des Besprechungsraums mit einem heftigen Knall hinter ihr schloss.
„Und keine Angst, Herr Löwenstein“ sagte sie eisig „ich werde den Schaden an ihrem Wagen regulieren und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“

***
Hundemüde und sterbenselend war es Ruth, als sie aus der Straßenbahn stieg.
Gestern war sie Richard nur um Haaresbreite entwischt, als er aus Leibeskräften ihren Namen rufend, quer durch die Messehallen hinter ihr her gestürmt war und nur eine große Gruppe aufgeregt schnatternder und ununterbrochen fotografierender Asiaten hatte sie vor ihm gerettet. Da Richard anscheinend selbst zu höflich war, um mitten durch die Menge zu pflügen, hatte Ruth es mit äußerst unkultivierten Gerempel endlich geschafft, ihm zu entkommen.
Tränenüberströmt war sie die ganze Strecke bis zu Ellas Bus gerannt und hatte sich hupend einen Weg über den überfüllten Parkplatz gebahnt, bis sie schließlich sicher war, Richard abgeschüttelt zu haben. Erst da hatte sie gemerkt, dass sie bei ihrem hastigen Aufbruch die Konzeptmappe in Richards Besprechungsraum hatte liegen lassen, aber das machte nun auch keinen Unterschied mehr. Nachdem, wie konnte es auch anders sein, Ellas Bus schließlich mitten auf der Autobahn schlapp gemacht und Ruth ihr allerletztes Geld für einen Abschleppdienst und eine Fahrkarte aufbrauchen musste, war sie erst mitten in der Nacht zu Hause angekommen und hatte kaum noch die Energie aufgebracht um sich auszuziehen, bevor sie ins Bett fiel. Aber der Schlaf war ihr entwischt wie ein scheues Tier. Immer wieder musste sie an Richard denken und gerade wenn sie glaubte, sich endgültig ausgeweint zu haben, stellte sie sich aufs Neue die Frage, wie sie bloß das Geld aufbringen sollte, um ihm den Schaden an seinem Wagen zu ersetzen. Außerdem musste sie Ella noch erklären, warum ihr kaputter Bus viele Kilometer entfernt auf einer Raststätte stand und erneut brach sie in Tränen aus. Sie liebte ihren Job bei der Stiftung und die reizenden alten Damen, für die sie arbeitete, aber abgesehen davon, dass sie als Einzige überhaupt ein Gehalt für ihre Tätigkeit bezog, war dieses so karg bemessen, dass sie kaum damit über die Runden kam. Und so schlecht wie die Finanzen dort im Moment standen, hatte alle Hoffnung darauf geruht, dass sie Richards Firma als Sponsor gewinnen konnte, um das Überleben der Stiftung sicherten und den Damen zu ermöglichten, die bereits laufenden Projekte weiter finanzieren zu können.
Kreidebleich und mit rotgeweinten Augen stand Ruth nun vor der Eingangstür des Büros und seufzte tief. Ihr war todschlecht bei dem Gedanken, dass sie den alten Damen in wenigen Minuten beichten musste, wie abgrundtief sie die ganze Sache verbockt hatte, aber schließlich atmete sie tief durch, straffte die Schultern und trat ein.

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Die Verwechslung

schreibt BunoLionHunter

Wunderbar geschrieben! Ich fühle mich bestens unterhalten!

Gedichte auf den Leib geschrieben