„Hast du einen Geist gesehen oder sehe ich wirklich so umwerfend aus? Weil du den Mund nicht zu kriegst, ohne was zu sagen?“ Johanna stand am Bahnsteig des Bahnhofes, den sie ihm als Treffpunkt für den Beginn ihrer Tour in die Berge vorgeschlagen hatte. Sie trug weiße Sportschuhe, eine kurze schwarze Fahrradhose und ein kurzärmeliges, eng anliegendes Oberteil in Weinrot und dunklem Violett mit in geschwungenen Kurven verlaufenden, weißen Nähten, die die Farbbereiche trennten. Ihr Haar hatte sie zum Pferdeschwanz gefasst, der unter dem weißen Fahrradhelm herausragte. „Ja,“ sagte K. leise, „so was in der Art passiert gerade mit mir!“ und erwiderte den langen Kuss ihrer zarten Lippen. Er kannte Johanna in den paar Wochen ihrer Beziehung nur in unkomplizierter Nacktheit und hatte sie sich in einsamen Stunden oft in Dessous und High Heels vorgestellt, phantasiert, in solchen, von ihr bisher noch nicht gewählten Accessoires wäre sie noch sexier. Diesem Gedanken konnte er auf einen Schlag nichts mehr abgewinnen. An der Hand führte Johanna ein stylishes weißes Rennrad, dessen ästhetische Eleganz etwas gestört wurde durch die Bike-Packing-Applikationen. Doch K. war sehr erleichtert, dass Johanna nur Lenker- und Rahmentasche gewählt hatte, nicht aber diesen unseligen Stummel unter dem Sattel, denn dieser hätte womöglich den Blick auf ihren Hintern beeinträchtigt. Und der war ein echtes Highlight, mehr noch, ihre gesamte Rückansicht war atemberaubend, die Taille, ihre Schultern, der Pferdeschwanz, der unter dem Helm zwischen ihre Schulterblätter fiel. Natürlich ließ alles an Johanna ihn schmachten, vor allem der Blick in ihre dunklen Augen und ihr sanftes Lächeln, das jede Stichelei von Verletzungen freihielt. Aber der stille Genuss, die nächsten Tage mit diesem unbeobachteten Ausblick im stillen Begehren verbringen zu dürfen, war beglückend, zumal sie auch keinen Rucksack trug. Und das hatte weniger mit distanzierten, voyeuristischen Neigungen K.s zu tun als mit der tiefen sinnlichen Erfahrung, dass Johanna es am liebsten von hinten mochte und dieser Blick auf sie immer auch mit der innigsten intimen Vereinigung verbunden war.
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