Jolanthes Berufung

Episode 1 aus: Die Abenteuer einer Gouvernante

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Jolanthes Berufung

Jolanthes Berufung

Andreas

Es begab sich im April 1900. Das neue Jahrhundert war noch jung, gleich jener Dame, von der ich berichten möchte. Jolanthe schlenderte durch den blühenden Park, erfreute sich an der wiedererwachten Natur. Sie fühlte sich unbeschwert, wie es sich für eine lebenslustige Zweiundzwanzigjährige gehört. Jolanthe beobachtete einen verzweifelten Erpel, dessen Werben die Angebetete kaum zu interessieren schien. Jolanthe schürzte ihre Röcke, ließ sich auf einer weiß gestrichenen Bank am Ufer nieder. Sie entdeckte einen Schwan, der das im Schilf gebaute Nest bewachte. Jolanthe sah vier Eier, als das Weibchen ihr Gefieder ausstreckte. Der stolze Vater passte gut auf, vertrieb jeden ungebetenen Zaungast mit lauten Flügelschlägen. Jolanthe lächelte befreit.

Jolanthe genoss ihren freien Tag, hielt sich mit Vorliebe im Stadtpark auf. Sie kam auch sonst gerne hierher, spazierte mit ihren Schützlingen über die großzügig angelegten Wege. Jolanthe stand seit einem Monat in den Diensten einer angesehenen, hanseatischen Familie. Die junge Frau freute sich aus ganzem Herzen, als sie die Stelle bekam. Das Ehepaar Lünen suchte seit langem eine Gouvernante, auch weil es in ihren Kreisen zum guten Ton gehörte, ein sogenanntes Kindermädchen zu beschäftigen. Frau Lünen fand zwar, dass Jolanthe zu jung sei, aber ihr Ehemann überredete sie, Jolanthe zumindest eine Chance zu geben. Die Lünens hatten zwei Töchter, Luise und Alwine. Luise war mit ihren 19 Jahren die Ältere, fühlte sich auch schon ziemlich erwachsen. Die 18-jährige Alwine benahm sich dementsprechend, versuchte alles, um mit ihrer großen Schwester gleichzuziehen.

Das war der einzige Wermutstropfen, der Jolanthe die Stimmung trübte. Sie hatte gleich zu Anfang mit den Lünens gesprochen, als sie Luises Halsstarrigkeit zum ersten Mal bemerkte. Jolanthe erinnerte sich an dieses Gespräch, von dem ihr jedes einzelne Wort im Gedächtnis geblieben war.

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