Juan ausgeliefert

Tinas Geschichte

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Juan ausgeliefert

Juan ausgeliefert

Stayhungry

Endlich öffnete die Milongabar. Ich war ungeduldig, aufgeregt und hatte nicht gewagt, Juan anzurufen, ob wir uns denn treffen könnten. Nach einer halben Stunde nervösen Wartens erschien er, begrüßte mich doch tatsächlich mit einem knapp gehaltenen, aber aus seinem Mund außergewöhnlichen Kompliment und geleitete mich zum Tanz. In seinem kräftigem Arm verblassten in mir die paradiesisch heitere Leichtigkeit der Zeit mit Yves zur Beliebigkeit wie ein vom Wind verwehtes Blatt und die Verletzlichkeit von K.s aufrichtiger Liebe zur von mir nicht geachteten Schwäche. Die Leidenschaft unserer kongenialen Bewegungen hatte ein eigenes Leben entwickelt, ein wildes, ungezügeltes, das sich nicht zufrieden gab mit den Ritualen des Tanzes und nicht mit den Konventionen romantischer Liebe eines ebenbürtigen Paares. Ich beherrschte nichts in diesem  Geschehen, war mitgerissen von meinen Gefühlen und die duldeten keinen Aufschub. Über reißendem Wasser gab es kein Zurück, es galt zu springen ohne Wenn und Aber.

Juans zügellose Inbesitznahme – denn Liebe konnte ich das, was diese erotische Beziehung ausmachte, von seiner Seite aus sicherlich nicht nennen – war wild, nicht nur leidenschaftlich. Sein Begehren war eine Kraft, die mich übermannte. Das hatte ich noch bei keinem Mann verspürt. Für K. war ich die anmutige Stute gewesen, für Juan war ich die wilde Katze, deren Zähmung nicht Ziel, sondern Grundlage seiner Befriedigung war. Meine Ungewissheit über das Kommende, meine Angst erregte mich unendlich, machte mich hellwach und willig, ich unterwarf mich bedingungslos. So begann es, und in der ersten Zeit hatte ich das Gefühl, zu ihm aufzusehen und dennoch mit ihm auf Augenhöhe zu stehen. Ich wuchs hinaus über mich, um ihm im Tanz virtuos zu trotzen, und fand mich dennoch sehnsüchtig nach seiner selbstbewussten Führung, ja nach seiner Dominanz und meiner Unterwerfung in der intimen Begegnung. Ob das alles ohne den Tango so gekommen wäre? Nein, ich weiß, es wäre nicht so gekommen! Aber es waren zwei Seiten einer Medaille, nicht zu trennen voneinander.

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