Kein Tag wie jeder andere

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Kein Tag wie jeder andere

Kein Tag wie jeder andere

Sven Solge

Pitter
Wütend vor sich hin schimpfend stapfte Pitter Wolding durch das nasse Laub, das den schmalen Feldweg bedeckte.
Zuerst verschlief er die Zeit, holte die halbe Stunde, die er länger geschlafen hatte, aber durch zügiges Fahren fast wieder ein. Doch als dann sein Wagen plötzlich so komische Geräusche machte und sich nur noch schwer lenken ließ, wusste er, da war etwas Schwerwiegendes passiert.
Er stoppte seinen Wagen und stieg aus und sah sofort den platten Vorderreifen. Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er nur noch zwanzig Minuten bis zum vereinbarten Termin hatte, für einen Reifenwechsel viel zu wenig Zeit.
Doch dann fiel ihm ein, dass es in dem Gebrauchtwagen, den er erst vor kurzem gekauft hatte, gar kein Reserverad mehr gab, sondern nur eine Pressluftflasche, die mit einer Gummilösung gefüllt war und das Reserverad ersetzen sollte. Er überlegte nicht lange, denn das könnte schneller gehen! Kramte die Flasche aus dem Kofferraum und las kurz die Betriebsanleitung durch.
Vorher den Behälter kräftig schütteln, dann den Schlauch auf dem Ventil des Reifens festschrauben und auf den Knopf drücken, danach sofort losfahren, damit sich die Gummilösung im Reifen verteilen konnte.
Pfffffft, machte es und dann war Schluss!
Nochmals drücken, nichts?
Die Pressluftflasche war leer!
Die kalte Wut stieg in ihm auf, warum immer ich? Schoss es ihm durch den Kopf.
Er brauchte dringend diesen Auftrag für seine kleine Tischlerei. Der Umbau des alten Herrenhauses war für ihn sehr lukrativ und sicherte ihm und seinen beiden Gesellen mindestes ein Jahr sicheres Einkommen.
Er blickte auf das Navi seines Handys und schätzte ab, wie weit es noch bis zum Ziel war, das war noch zu schaffen, wenn er quer durch den Wald laufen würde. Kurz entschlossen schmiss er die leere Dose in den Kofferraum holte seine Aktentasche aus dem Fond, verschloss den Wagen und machte sich auf den Weg.  
Mittlerweile waren seine Füße nass und seine Schuhe und der untere Bereich seiner Hose dreckig. Aber es half ja nichts, er musste weiter!
Der Wald lichtete sich und das alte Herrenhaus schimmerte schon durch die Bäume.
Etwas außer Atem ging er auf die breite Freitreppe zu, aber er schien zu spät zu kommen, denn weit und breit war niemand zu sehen.
Wenn noch jemand da gewesen wäre, müsste ja ein Auto vor dem Haus stehen, oder irgendein anderer fahrbarer Untersatz.
Mutlos ging er die verwitterten Stufen bis zur schweren Eichentür hoch und betätigte den großen Messingtürklopfer!
Das Geräusch hallte wie Pistolenschüsse durch das Haus, sodass er sofort aufhörte zu klopfen.
Langsam ging er die Stufen wieder runter, drehte sich zum Haus um und schaute sich das uralte Gemäuer an. Er wusste, dass das Gebäude schon über 100 Jahre alt war und sicherlich schon bessere Tage erlebt hatte. Es war ein einfacher Bau mit verputzten Außenwänden. Die rechteckigen Sprossenfenster hingen teilweise schief in ihren Angeln und einige Scheiben waren zerbrochen, trotzdem machte es auf ihn noch einen guten Eindruck!
Die neuen Eigentümer mussten allerdings sehr viel Mut und nicht zuletzt viel Geld haben, um sich auf so etwas einzulassen!
Er wandte sich enttäuscht ab und wollte gerade den Weg durch den Wald zurück gehen, als er hinter sich ein Knarren vernahm.
Erschrocken drehte er sich um und sah gerade noch wie die alte Tür von einer, kleinen schmalen Hand aufgedrückt wurde. Anscheinen ging es schwer, denn es dauerte etwas bis der Spalt breit genug war, bis die dazu gehörende Person sich durch die Öffnung schieben konnte.
Pitter Wolding sah wie sich erst ein Arm und dann eine Schulter gegen die schwere Eichentür stemmte, aber es nicht schaffte.
Mit wenigen Schritten war er wieder die paar Stufen hoch gestürmt und drückte mit beiden Händen gegen das Türblatt, welches knarrend nachgab.  
Plötzlich ihres Halts beraubt, stolperte die Person durch den Spalt der sich öffnenden Tür und wäre wahrscheinlich gestürzt, hätte er sie nicht instinktiv am Arm gepackt und festgehalten.

Verena
Verena zuckte zusammen, als sie das laute Knallen des Türklopfers hörte. Das Geräusch ließ einen Schauer über ihren Rücken laufen, immerhin war sie allein in dem alten Haus, denn ihre Eltern hatten sie schon vor einer halben Stunde verlassen, da sie noch zum Golfclub wollten.
Das konnte nur der Tischler sein, der sich das Haus ansehen wollte, um ihr für die Restaurierung der Fenster und der Türen ein Angebot zu machen.
Eilig lief sie die Treppe hinunter, weil sie oben ihre Zeichenutensilien liegen hatte, um die einzelnen Räume zu Skizzieren.
„Verdammt warum kam der Mann nicht zur hinteren Tür, die war doch offen!“
Aber das konnte er ja nicht wissen, entschuldigte sie ihn gedanklich!
Verena Gullberi eilte zur Haupteingangstür und wurde überrascht, dass sie sich kaum bewegen ließ. Nur mit größter Kraftanstrengung, in dem sie mit beiden Händen am Türdrücker zog, gelang es ihr den Türflügel ein paar Zentimeter zu öffnen. Gerade als sie den Spalt etwas vergrößert hatte, um sich mit der Schulter dazwischen zwängen zu können, gab das Türblatt nach und sie stolperte ins Leere.
Urplötzlich umklammerte etwas ihren Arm und bremste ihren Sturz: „Nicht so schnell junge Frau!“, hörte Verena eine angenehme Männerstimme, die ihr irgendwie bekannt vorkam?
Natürlich, schon bei ihrem einzigen Telefonat, war ihr bei der Stimme des Tischlermeisters die wohltönende Stimme aufgefallen. Sie hatte bei ihr das Gefühl von Wohlbehagen ausgelöst.
Langsam richtete sie sich auf und sah in die wohl wärmsten, braunen Augen, die sie je gesehen hatten! Die leicht zu einem spöttischen Lächeln verzogenen Lippen, und der braune Lockenkopf taten bei ihr ein Übriges.
Sie konnte sich nicht sattsehen, an diesem strahlenden Gesicht, mit den süßen Lachfältchen um die Augen, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte.
„Sie müssen Frau Verena Gullberi sein?“, fragte diese beruhigende Stimme und es dauerte etwas, bis Verena merkte, dass er sie meinte.
„Pitter Wolding!“, stellte er sich vor und hielt ihr die Hand hin.
Wie in Trance, ergriff sie seine Hand und spürte sofort den Strom der Energie, die von ihm zu ihr rüber schwappte: „V e r e n a!“, sagte sie gedehnt und ihr ganzer Körper geriet in Aufruhr!
Das Kribbeln wanderte von seiner Hand über ihren Arm ohne Umwege direkt zu ihren Brustwarzen und ließ sie augenblicklich hart werden. Die empfindlichen Knospen schickten Stromstöße in ihren Schoß und stießen die Durchblutung ihrer Vagina an, die sofort heiß wurde. Ein leises Keuchen quälte sich durch ihre schmalen Lippen, als sie ihre Hand aus seiner löste, weil der Strom an Empfindungen sofort abbrach und sie in die Wirklichkeit zurück katapultierte.
„Ist ihnen nicht gut?“, fragte der nicht mehr spöttisch verzogene Mund, in echter Sorge! Als sie sich mit einem Seufzer gegen die geschlossene Türhälfte lehnte.
Sie schüttelte leicht den Kopf und nachdem langsam ihre Selbstbeherrschung zurückkam, sagte sie: „Einen Moment der Schwäche, ich habe mich beim Öffnen der Tür wohl etwas überanstrengt!“
„Das glaube ich ihnen gerne, da werde ich wohl in erster Amtshandlung mal etwas Öl an die Scharniere bringen müssen!“ Und wieder lächelte dieser unglaubliche Mund etwas spöttisch, doch dieses Mal etwas wissender!
„Ich möchte meine Verspätung entschuldigen, aber ich habe kurz vor meiner Ankunft einen Plattfuß erlitten und bin zu Fuß durch den Wald gelaufen.“ Er deutete auf seine verschmutzten Schuhe und seine Dreckbespritzte Hose.
Verena stieß sich jetzt wieder von der Tür ab. Auch wenn sie noch etwas nach Fassung rang, so sagte sie nun mit fester Stimme: „Macht nichts Herr Wolding, ich bin den ganzen Tag hier, nur diese Tür benutzen wir sonst überhaupt nicht, die ist schon lange nicht mehr geöffnet worden, weil wir immer den Hintereingang benutzen.“
„Nennen sie mich bitte einfach nur Pitter oder noch kürzer einfach nur Pit, es spricht sich leichter!“
„Dann bleiben sie bitte auch bei meinem Vornamen und wenn es ihnen recht ist auch per du!“
Sie reichten sich erneut die Hand und besiegelten so das vertrauensvolle du!
Wieder floss ein Strom an Gefühlen zu Verena, als Pit ihre Hand ergriff und sie leicht drückte. Bedauern erfüllte sie, als Pit allerdings seine Hand schnell wieder löste.

-*-

Pitter
Auch an Pit war dieser erste Kontakt nicht spurlos vorüber gegangen!
Schon als er ihren Oberarm umfasst hatte, um ihren Sturz zu verhindern, war er erstaunt über ihren festen Bizeps gewesen. Ihm stand eine überaus attraktive, durchtrainierte junge Frau gegenüber, das hatte er nicht erwartet!
Bei ihrem Telefonat hatte er zwar aufgrund der jugendlichen Stimme, keine ältere Frau vermutet. Doch als Auftragsgeberin für dieses Objekt, hatte er sich eine gereifte Frau vorgestellt.
Doch jetzt entpuppte sich Verena als wunderschöne Frau, die mit ihrem Aussehen auch als Fotomodell Erfolg haben könnte.
Eine tolle Figur, lange, schwarze Haare, die sie jetzt zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden hatte und ein ausdruckstarkes Gesicht.
Pit war etwas irritiert, deshalb fragte er Verena: „Du willst hier nicht alleine einziehen, oder?“
Jetzt lachte Verena laut auf: „Nein, das will ich nicht! Ich will aus diesem Haus, mit Hilfe meiner Eltern, ein Hotel gehobener Klasse machen! Ich habe Hotelmanagement studiert und mein Ziel war immer, ein eigenes Hotel zu leiten!“
Nachdenklich folgte Piet ihr ins Haus und je länger er ihren Ausführungen folgte, umso sicherer erkannte er ihre Zielstrebigkeit. Sie wusste genau, was sie wollte und wie es auszusehen hatte.
Verena erzählte ihm, dass ihre Eltern wohlhabend wären und sie, als einziges Kind, ihr Erbteil für den Umbau des alten Herrenhauses verwenden dürfe.
Sie zeigte ihm die alten Füllungstüren, die alle lackiert waren und meinte an Pit gewannt: „Ich möchte diese Türen auf jeden Fall erhalten, nur dieser fürchterliche Lack stört mich! Kann man den Lack abschleifen und nur das Naturholz farblos lackieren?“
Pit schaute sich die Türen genauer an: „Das wird schwierig, es kommt auf das Holz an! Wenn es Eiche oder Buche ist, könnte es gehen, aber wenn es Fichtenholz oder Tanne ist, dringt die Farbe zu tief in die Poren ein und man muss endlos schleifen, bis man das weg hat! Ich werde mal eine Tür mitnehmen und einen Versuch machen, dann kann ich mehr sagen.
Pit spürte deutlich, dass Verena förmlich an seinen Lippen hing, wenn er was erzählte. Es war ihm etwas unheimlich, denn jedes Mal, wenn er sie anblickte, schaute sie verlegen zur Seite.  
Mit den Sprossenfenstern war es schwieriger, da das Haus unter Denkmalschutz stand, durfte am äußeren Erscheinungsbild nichts verändert werden. Die alten Fenster waren grün gestrichen und sollten so auch erhalten bleiben. Das einzige Zugeständnis, was das Denkmalschutzamt ihr erlaubte, war, dass die Fenster aus Kunststoff sein durften! Sprossen und die grüne Farbe waren aber vorgeschrieben.
Auch die schwergängige Eingangstür, musste überarbeitet werden und erhalten bleiben! Aber das erschien Pitter weniger aufwändig zu sein, auch wenn die Tür sehr schwer war und wahrscheinlich nur vor Ort überarbeitet werden konnte!  
Insgesamt war der Aufwand riesig und Pit schoss jede Menge Fotos mit dem Handy und machte sich Notizen.
Verena zeigte ihm ihre Skizzen, die sie im Obergeschoss auf einem provisorischen Zeichentisch liegen hatte und Pit konnte nicht genug seine Bewunderung über diese hervorragenden Zeichnungen zum Ausdruck bringen.
Teilweise nur schnell hingeworfene Bleistiftzeichnungen, dann wieder akkurat mit Aquarellfarbe ausgemalte, fertige Bilder, die einem Innenarchitekten würdig waren. Für jedes Zimmer hatte sie genaue Vorstellungen wie es später aussehen sollte.
Bei der Betrachtung der Bilder war Verena unbewusst immer dichter an Pit herangetreten und hatte ihm ihre Vorstellungen erläutert! Mit dem Finger zeigte sie ihm, wie die Vorhänge und Gardienen aussehen sollten, dass sich dabei ihre Schultern berührten, schien sie nicht zu spüren.
Anfangs hatte Pit sich etwas zurückgezogen, doch intuitiv folgte Verena ihm! Sie suchte scheinbar den Körperkontakt, ja sie stöhnte sogar leise, meinte er zu hören.
Und Pit beließ es dabei, ja er lehnte sich sogar etwas gegen sie. Ab und zu berührten ihre Finger sich, wenn sie sich gegenseitig auf etwas aufmerksam machen wollten, dann spürte Pit die Wärme ihrer Haut und dieses wunderbare Gefühl, den ihr Geruch und dieses Kribbeln in seinem Körper verursachte.
Immer öfter ertappte er sich dabei, dass er Verena nachdenklich von der Seite anschaute und seine Gedanken abschweiften, wenn er sie betrachtete!
Als er ihre schönen Hände betrachtete und er keinen Ring an ihren schlanken, langen Fingern sah, platzte er mit der Frage raus: „Hast du keinen Mann oder Freund, der dir helfen könnte?“
Sofort richtete er sich auf: „Entschuldige, das geht mich nichts!“ Er hätte sich in den Hintern beißen können, wie man immer so schön sagte!
Pit brachte eine kleine Distanz zwischen sich und Verena und tat so, als wenn er sich nochmals eine ihrer Zeichnungen intensiver anschauen wollte.
Wieder spürte er ihren brennenden Blick, doch er konnte sie nicht anschauen. Nicht jetzt, nach so einer blöden Frage?
Verena sagte nichts und je länger die Stille dauerte, umso schlechter ging es Pit.
Doch dann fühlte er plötzlich ihre Hand auf seinem Oberarm, die förmlich ein Loch in seine Jacke brannte.
„Ich habe weder einen Mann noch einen Freund noch einen Verlobten!“, sagte sie und als Pit sie schon fasst etwas verzweifelt anschaute, ergänzte sie noch: „Und wie ist es mit dir? Verheiratet, zwei Kinder oder eine Freundin?“
Pit senkte etwas verschämt den Kopf, bevor er ihr mit knirschenden Zähnen, dann aber mutig antwortete: „Weder noch! Ich habe bis vor einer Stunde noch niemanden getroffen, der nur annähernd an dich heranreichen könnte!“
Wieder überwältigte ihn die Scham und im Rausgehen murmelte er vor sich hin: „Was ist nur los mit dir, bist du von allen guten Geistern verlassen?“
In der Tür des Zimmers, indem Verenas Zeichentisch stand, drehte er sich noch mal um und sagte zu ihr: „Ich gehe jetzt besser! Ich melde mich, wenn ich den ersten Entwurf der Zimmertür fertig habe, ich schicke dir per E-Mail-Anhang ein Foto!“
Das verschmitzte Lächeln in Verenas Gesicht, stürzte ihn in noch größere Unsicherheit. Fast schon fluchtartig verließ er das Grundstück und rief von unterwegs, durch den Wald seinen Gesellen an: „Walter, hole mich bitte ab und bringe einen Reifen und einen Wagenheber für den Cutty mit, ich stehe auf der Zufahrtstraße zum Herrenhaus.
Am Abend, er saß vor dem PC und bearbeitete das Tür-Foto mit Photoshop! Er hatte zwei verschiedene Farbnuancen gewählt. Die Füllungen in Naturholz, den Rahmen in hellgrau und die Bekleidung in einem dunkleren grau. Diese Kombination gefiel ihm am besten, weil sie sehr elegant wirkte.

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