„Jetzt gönne ich es mir wieder!“.
Für sie ist klar, was das bedeutet. Zunächst nimmt sie ausgiebig und genussvoll ein Bad. Dann lässt sie sich im Bad lange Zeit, um sich einzucremen, ihr sorgfältiges Makeup aufzulegen. Sie geht ins Schlafzimmer. Bei den Dessous weiß sie schnell, welche Farbe, welche Teile, welche Strümpfe es diesmal sein sollen. In Ruhe wählt sie die Kleidung aus: Eine enge schwarze Hose, die ihre langen Beine zur Geltung bringt. Dazu den grauen Pullover mit dem hohen Rollkragen. Darüber die schwarz-weiß karierte lange Jacke. Ein letzter prüfender Blick. Dann bricht sie Richtung Haltestelle auf.
Sie nimmt die U-Bahn in die Innenstadt. Die neugierigen, verstohlenen, aber immer längeren Blicke des Mannes, der unterwegs einstieg und sich ihr gegenübersetzt, bleiben ihr nicht verborgen. Sie liebt es, Blicke auf sich zu ziehen. Sie hat ein gutes Stilempfinden: exquisit, aber nie zu dick aufgetragen. Dass ihr Körper mit 70+ ihr noch eine solche Figur beschert, empfindet sie als Geschenk des Lebens. Sie mag es, wie der Mann sie ansieht und an ihr als ‚Gesamtkunstwerk‘ Gefallen findet. Sie hat das Gefühl, dass seine Nase etwas von ihrem Parfum aufschnappt. Edel, darunter macht sie es nicht. Manchmal begegnen sich ihre Blicke, halten stand, um wieder in der stummen Betrachtung des anderen zu versinken.
Sie steigen beide an derselben Haltestelle aus. Der Mann geht zuerst raus und nähert sich der Rolltreppe. Sie läuft – für ihr Alter wirklich bewundernswert flott – auf die Treppe zu. Bevor sich ihre Wege trennen, wirft sie ihm zum ersten Mal ihr gewinnendes Lächeln zu. Es bleibt nicht ohne Wirkung. Schon stürmt sie die Treppen hinauf und biegt ab Richtung Kaiserallee.
Oben verlangsamt sie ihre Schritte und tritt etwas zur Seite. Aus den Augenwinkeln sieht sie den Mann auf sich zueilen. „Entschuldigung, das ist ihnen aus der Tasche gefallen!“. Er reicht ihr ein Handy. „O, vielen Dank. Das habe ich gar nicht bemerkt“.
Keine Frage des Alters
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