Wir nannten ihn alle den „Kitzler“. Wir waren Wachs in seinen Händen. Noch heute richten sich alle meine Härchen auf, wenn ich an ihn zurückdenke. An ihn, Martin, den Kitzler. Martin war der einzige Mann in meinem Studiengang als Krankenschwester. Lange ist es her, dass er mich zum letzten Mal berührt hat – sehr lange. Martin hat nicht nur mich berührt, sondern die ganze Klasse. Er hat nicht nur meinen Körper berührt – sondern vor allem meine Seele und die eines ganzen Ausbildungsjahrgangs.
Aber mal ganz von vorn. Martin trat mit einem Monat Verspätung in unseren Kurs ein; wir Weiber hatten uns schon aneinander gewöhnt und wussten genau, wo es Animositäten gab, wen wir nicht riechen konnten, wem wir am besten aus dem Weg gingen – und mit wem wir am liebsten in einer Dauerumarmung versunken wären. Viele von uns hatten damals diese verhaltenen Liebessehnsüchte, die wir an den Wochenenden in den zwei einzigen Discos der Stadt auslebten. Barfuss. Und in Batikröcken. Dann trat Martin ins Klassenzimmer. Wir hielten im Kollektiv den Atem an. Martin war nicht nur sportlich gebaut; er hatte einen federnden Gang und kam mir vor wie ein Puma oder Panther. Irgendwie schien er mir gefährlich – und doch so anziehend. Er setzte sich neben mich und kramte in seinem Rucksack. Ich bot ihm meinen Kugelschreiber an. Eine von Martins Eigenarten war, dass er stets emsig mitnotierte, was die drögen Drosseln da vorn erzählten… diese abgehalfterten Krankendüsen, die keiner mehr wollte und die deshalb im Lehramt gelandet waren – wo sie auch keiner wollte. Wir schon gar nicht.
Martins Gesichtsprofil von der Seite war einfach ein Traum. Die markante Nase, das leicht hervorstehende Kinn und die hohen Wangenknochen werde ich nie vergessen. Und Martins Hände! Sensible Pianistenhände waren das – und ich wusste sogleich, dass diese Hände noch zu ganz anderem im Stande sein würden, wenn man ihm dazu die notwendige Zeit liess.
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.