Knocked out

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Yupag Chinasky

Der Attentäter, man nahm zunächst an, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte, wurde nicht ausfindig gemacht. Es gab keine Zeugen, keinerlei Hinweise, keine verwertbaren Spuren. Er war aus dem Nichts aufgetaucht und wieder spurlos verschwunden. Um vom Tatort eins zum Tatort zwei zu gelangen, brauchte man etwa eine Viertelstunde mit dem Auto. Dieser Zeitraum sprach für die Ein-Täter-Theorie, aber um die fragliche Zeit hatte niemand ein verdächtiges Auto beobachtet. Genauso mysteriös schien zunächst das Tatmotiv zu sein. Warum gerade diese beiden jungen Männer, die sich anscheinend nichts zu Schulde kommen lassen hatten. Jedenfalls nichts, was eine solche Tat gerechtfertigt hätte? Doch dann durchleuchtete man im Zuge der Ermittlungen ihr Privat- und Berufsleben und stieß auf interessante Verbindungen und eindeutige Beweise, dass sie in engem Kontakt mit einer arabisch-maghrebinischen Gangsterband standen. Es ging bei ihren Geschäften um Drogen, Prostitution, Mädchenhandel, illegale Wetten und andere Betrügereien. Auf einmal hatte man eine Erklärung für den Reichtum der beiden. Sie wurden noch im Krankenhaus verhaftet, unter Anklage gestellt und wanderten, als sie von einem Amtsarzt für transport- und haftfähig erklärt worden waren, direkt in das Untersuchungsgefängnis. Die Ermittlungsspezialisten für organisierte Kriminalität hatten auch herausgefunden, dass es innerhalb dieser Gang zu Reibereien gekommen war, zu Verteilungskämpfen und dass schon mehrere „Unfälle“ in ihrem Dunstkreis stattgefunden hatten. Direkt beweisen konnte man zwar nichts, alle Beteiligten, einschließlich Guy und Marcel, schwiegen eisern, aber die Indizien waren plausibel und so ging man dem Attentat nicht weiter nach. Janine’s Name tauchte übrigens in keinem der Berichte auf.

Auch der Anschlag auf den Polizeichef fand einen plausiblen Grund und man rückte von der Vermutung wieder ab, dass ein und derselbe Täter beide Anschläge verübt habe. Die zeitliche Nähe schien doch eher ein Zufall gewesen zu sein. In letzter Zeit waren mehrere Anschläge auf Polizeistationen, Polizeifahrzeuge und andere staatliche Einrichtungen in der weiteren Umgebung durch islamistische Extremisten verübt worden. Die Täter waren immer nach demselben Schema vorgegangen, immer hatten sie eine Bombe gut platziert und durch ein Handy ausgelöst. In all diesen Fällen hatten sie sorgfältig darauf geachtet worden, dass keine Personen zu Schaden kamen. Man hatte zwar noch keine Täter für den Vorfall in A. und auch keine Geständnisse oder andere unwiderlegbaren Beweise, aber die Logik sprach dafür, dass dieses Attentat ebenfalls politisch motiviert war. Die Polizei gab in einer Erklärung zu verstehen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis man den Zusammenhang eindeutig belegen und die Täter dingfest machen könne. Der Fall galt damit als abgeschlossen. Nur eine Person im Ort fand die Erklärungen nicht sehr plausibel und bekam es mächtig mit der Angst zu tun.

7

Ebenfalls an einem Montag, jedoch im Dezember, hält ein sichtlich ramponierter Golf vor dem Aigle noir. Ein Mann mit einer Reisetasche betritt die Rezeption und sagt, er habe ein Zimmer reserviert. Die Madame am Empfang hätte ihn vielleicht wieder erkannt, sie war durchaus geübt im Erkennen von Menschen und im Abschätzen ihrer Eigenschaften, vor allem ihrer Bonität, doch sie hätte ihn sich schon sehr genau ansehen müssen, um darauf zu kommen, dass es derselbe Mann ist, der hier im Juni übernachtet und dem man damals so übel mitgespielt hatte. Vor ihr steht ein anderer Mann, zwar immer noch sehr kompakt und mit rosiger Gesichtsfarbe, aber jetzt mit dichten, schwarzen Haaren, einem Schnauzbart, dunklen, buschigen Augenbrauen und einer Hornbrille, die seinem Blick einen stechenden, bohrenden Ausdruck verleiht, jedenfalls ist darin nichts joviales und leutseliges. Der Name und die Adresse, die er auf das Anmeldeformular schreibt, sind nicht im Hotelcomputer verzeichnet. Für Madame ist die Kleidung ein wichtiger Wiedererkennungsfaktor, aber die hätte sie in diesem Fall vollends in die Irre geführt. Statt eines gediegenen, geschmackvoll gekleideten Seniors, dem man ansieht, dass er sich schlichte, aber teure Kleidung leisten kann, steht jetzt ein ziemlich heruntergekommenes Subjekt vor ihr, angetan mit einem alten Anorak, abgeschabten Cordhosen und dicken, klobigen Stiefeln. Er ist nicht schlicht, sondern einfach nur schlecht angezogen. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass das Hotel ausgebaucht sei. „Je suis désolé, monsieur, mais nous somme complet, totalement complet.“ Aber er hatte ja vorgebucht. Sie wird etwas versöhnlicher, als der Gast im Voraus bezahlt und ihr erklärt, er müsse am nächsten Morgen sehr früh weg, ohne Frühstück. Das sei für ihn kein Problem und für sie war es auch keins.

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schreibt Huldreich

Lieber Yupag Chinasky! Ihre Geschichte hat mir gefallen, samt dem Hinweis auf Stig Larrson's Lisbeth Salander, Danke sehr gut erzählt und spannend bis zum Schluß. Ich freu mich auf die nächste und grüsse Sie herzlich, Ulrich Hermann aus München

Gedichte auf den Leib geschrieben