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Irena Böttcher

Diese Frau macht mich noch verrückt. Nicht nur, daß sie heute wieder in einem hautengen roten Nichts zur Arbeit erschienen ist. Nicht nur, daß sie alle fünf Minuten ihre Haarpracht zurückwirft, daß ihre Locken von dem glatten Gewebe abperlen und dabei ihren Vanilleduft um meine Nase wehen lassen. Nicht nur, daß sie ihre Beine immer seitwärts so übereinanderschlägt, daß sie mich dabei beinahe berührt. Nein – jetzt streicht und zupft sie auch noch seit fast einer Minute an ihrem Rock herum, als ob er dadurch länger würde. So fest ich kann, presse ich meine Beine zusammen. Zum Glück trage ich meine Stoffhose, so daß keiner meinen harten Schwanz bemerken kann. Mühsam versuche ich, mich auf den Bildschirm vor mir zu konzentrieren. Kurz darauf fahre ich erschrocken hoch – sie hat mir die Hand auf den Arm gelegt. „Ist Ihnen nicht gut?“ fragt sie ganz besorgt. „Sie sehen so angespannt aus.“ Ein wütender Blick trifft sie. Seit der Supervisor sie mir vor etwa einem Monat mit den Worten vorgestellt hat: „Das ist Frau Weber, Ihre neue Kollegin,“ legt sie es anscheinend darauf an, mich um meinen Verstand zu bringen. Die Gier danach, eine Hand auf ihre Brust zu legen, ihr die andere unter den Rock zu schieben, ist so groß, daß mein ganzer Unterleib mich schmerzt. Energisch schiebe ich den Stuhl zurück, stehe auf und verschwinde. In der Herrentoilette lehne ich mich stöhnend an die Wand. Ich kann nicht mehr! Der Raum scheint leer zu sein. Rasch löse ich Gürtel und Reißverschluß, schiebe eine Hand in den Slip, schließe sie um meinen steifen Schwanz, der sofort hervorspringt. Schon ein paar rasche, fast brutale Bewegungen bringen mich zum Abspritzen. Sorgfältig fange ich das klebrige Zeug mit einem Taschentuch auf, säubere mich, so gut es geht. Erleichtert atme ich auf. Jetzt geht es mir schon besser.
Sie begrüßt mich mit einem so spöttischen Lächeln, als ob sie genau wüßte, was ich gerade gemacht habe, und unwillkürlich werde ich rot. Ein paar Stunden gelingt es mir danach aber, sie fast völlig zu ignorieren. Und nach Feierabend werfe ich mich in meinen Jogginganzug und renne mir die Seele aus dem Leib. Weder das Seitenstechen noch meine schmerzende Lunge halten mich davon ab, meine 20 Kilometer voll zu machen. Nach den 50 Minuten, die ich dafür brauche, stehe ich etliche Minuten vornübergebeugt und keuchend da, dann schließe ich noch mein übliches Gymnastikprogramm an. Danach verlasse ich den Park, völlig erschöpft. Inzwischen ist es auch schon fast dunkel.
Plötzlich trifft mich beinahe der Schlag. Am Haupttor steht sie, lässig gegen einen Pfosten gelehnt, ebenfalls im Jogginganzug. Gegen mich sieht sie frisch aus wie gerade einem entspannenden Bad entstiegen. Beim Näherkommen erkenne ich allerdings, daß ihre Haare dunkel sind vor Schweiß. Woraus ich messerscharf schließe, daß sie ebenfalls Joggen war, aber schon eine Zeitlang fertig ist. Hat sie hier womöglich gar auf mich gewartet? Unwillig schüttele ich über mich selbst den Kopf. Demnächst bilde ich mir noch ein, sie sei total in mich verknallt! Etwas – nun ja, zugegebenermaßen sehr - mürrisch erwidere ich ihren freundlichen Gruß. Sie will sich ausschütten vor Lachen. Was meine Laune nicht gerade hebt. „Mensch, Thomas,“ ruft sie schließlich, „nun sei doch nicht so! Ich warte hier schon fast eine halbe Stunde auf dich, da könntest du schon etwas netter zu mir sein.“ Es ist, als ob die Sonne mitten in meinem Herzen aufginge. Aber das kann ich natürlich nicht zugeben. So sehe ich sie nur stirnrunzelnd an und frage abweisend: „Seit wann duzen wir uns eigentlich?“ Ihre Augen sprühen schlagartig vor Zorn, und sie sieht dabei wunderhübsch aus. Am liebsten würde ich die Arme nach ihr ausstrecken, ganz sanft über ihre Wange streichen. Aber nach einem letzten vernichtenden Blick dreht sie sich um – und geht.
Ich könnte mich selbst ohrfeigen. Deprimiert schleiche ich zu meiner Wohnung, dusche erst kochendheiß, dann eiskalt, wärme irgendein Fertiggericht in der Mikrowelle, das nachher fast unangerührt im Abfall landet, versuche, mich mit einer Fernseh-Dokumentation über Junkers Flugzeuge abzulenken. Kurz vor Mitternacht liege ich im Bett, aber ich kann nicht schlafen. Es wird eine höllische Nacht. Mein Spiegelbild am nächsten Morgen mit den tiefen Schatten auf Kinn und Wangen und unter den Augen erschreckt mich. Die Bartschatten kann ich entfernen, die anderen Schatten nicht. Schnell schütte ich einen Kaffee hinunter, verbrenne mir dabei fast die Zunge. Mit einem so laut hämmernden Herzen, daß es eigentlich jeder hören müßte, erscheine ich an meinem Arbeitsplatz.
Sie ist noch nicht da. Seltsam – normalerweise ist sie immer die erste im Raum. Ihr wird doch nichts passiert sein? So unruhig macht mich der Gedanke, daß ich kaum etwas erledigt bekomme und einen strengen Verweis unseres Supervisors einstecken muß. Endlich erscheint sie. Unwillkürlich erhebe ich mich halb aus meinem Schreibtischstuhl und strahle sie an. Ihr Blick gleitet wie durch mich hindurch. Das macht mich sauer. Was bildet sie sich eigentlich ein? Erst läuft sie mir hinterher, und dann ist sie beleidigt, wenn ich nicht sofort darauf eingehe. Soll sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Eifrig tippe ich vor mich hin, führe meine Telefonate, erledige meine Memos und Berichte. Ein lautes Seufzen läßt mich stocken. Sie hat sich mit geschlossenen Augen in ihrem Stuhl zurückgelehnt, streicht sich mit den Fingerspitzen einer Hand wie gedankenverloren über ihren Körper, über Hals, Brust und Bauch. Meine Hose wird zu eng, und mein Schwanz fühlt sich innerhalb von Sekunden an, als ob er platzen wolle. Nervös zerre ich am Kragen meines Hemdes. Ruckartig beugt sie sich wieder über ihre Tastatur, als ob nie etwas gewesen wäre. Ich atme mehrmals tief durch, versuche, meine Geilheit zu bezähmen. Zum Glück ist bald Mittagspause, und ich stürze als einer der ersten nach draußen und in die Kantine.
Die meisten Plätze sind noch frei. Krampfhaft umklammere ich mein Tablett und steuere einen Tisch in der hintersten Ecke an. Lustlos besehe ich mir das braungelbe Gemantsche, das mich vom dreigeteilten Teller angrinst. „Ist hier noch frei?“ höre ich da auf einmal. Ohne meine Antwort abzuwarten, schlängelt sie sich mir gegenüber elegant auf den orangefarbenen Plastikstuhl. Bloß weg hier, denke ich bei mir. Hastig schlinge ich den größten Teil des unappetitlichen Zeugs herunter und verschwinde.
Das hätte ich nicht tun sollen. Das Magendrücken überfällt mich, kaum daß ich wieder an meinem Platz bin. Im Laufe der nächsten Stunde wächst der dumpfe, unangenehme Druck sich zu einem richtigen Schmerz aus, und dann packt mich der erste Krampf. Stöhnend presse ich beide Fäsuste gegen meinen Bauch. „Sie sollten sich mit dem Essen etwas mehr Zeit lassen,“ erklärt sie mir spöttisch. Eine wilde Wut erfaßt mich. Schließlich habe ich meine Bauchschmerzen ihretwegen, da muß sie sich nicht auch noch über mich lustig machen! Der Krampf läßt nach, aber ich bin sicher, es war nicht der letzte. Ausgerechnet jetzt bestellt unser Supervisor uns beide zu sich, sie und mich. Das kann ja heiter werden! „Wie kommen Sie beide denn miteinander aus?“ fragt er unvermittelt, kaum, daß wir den Raum betreten haben. „Sehr gut,“ erklärt sie. „Es könnte gar nicht besser sein.“ Der Supervisor nickt zufrieden. Das erspart mir die Antwort. Was auch ganz gut so ist, denn inzwischen möchte ich mich nur noch ins Bett legen, zusammenrollen und warten, bis dieser ekelhafte Schmerz aufhört. Statt dessen muß ich mir noch ein paar allgemeine, nichtssagende, überflüssige Ratschläge anhören. Kaum sind wir in Gnaden entlassen, stürze ich aufs Klo und muß mich übergeben. Danach sind die Schmerzen weg. Das macht mich so glücklich, daß ich den Rest des Tages gutgelaunt hinter mich bringe und nur ein ganz klein wenig Probleme mit meiner unbändigen Lust bekomme, sie zu berühren. Ich fühle mich so stark, daß ich ihr sogar galant die Tür aufhalten kann, ohne daß meine Finger dabei allzu sehr zittern. Und den Rest meiner Erregung verdeckt inzwischen sehr geschickt mein Mantel. Kaum ist sie durch die Tür, bleibt sie stehen, zögert, dreht sich zu mir um. „Es tut mir leid,“ sagt sie leise. „Ich war vorhin nicht sehr nett zu Ihnen. Geht es Ihnen jetzt besser?“ Diesmal lasse ich das überwältigende Glücksgefühl zu, das ihre Worte in mir auslösen. „Ist schon gut,“ sage ich wegwerfend, „Sie haben ja ganz recht, ich war selbst schuld.“ Unschlüssig stehen wir beide da, direkt hinter der Ausgangstür. Die anderen Angestellten strömen an uns vorbei, einige achselzuckend, andere empört, lachend oder gleichgültig. Ich habe das Gefühl, in ihren grünen Katzenaugen zu versinken. Fast, fast habe ich den Mut, den Arm zu heben, um sie zu berühren.
Ausgerechnet in diesem Moment steigt mein Vater direkt vor der Tür aus seinem Wagen und eilt auf mich zu. „Thomas, wie gut, daß ich dich noch treffe,“ sagt er atemlos. „Mutter will dich dringend sehen! Am besten kommst du gleich mit mir mit.“ Sie sieht mich an, mit einem Blick voller Verachtung, wirft den Kopf in den Nacken und verschwindet. Vergebens rufe ich ihr hinterher, und als ich ihr endlich nachlaufen will, ist sie in der Menge verschwunden. „Verdammte Scheiße,“ brülle ich. Tadelnd sieht mein Vater mich an. „Was ist denn los?“ fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Hast du etwa irgend etwas mit dieser kleinen Angestellten? Du, als der Juniorchef?“ Zornig funkele ich ihn an. „Sie ist meine Kollegin! Und momentan mache ich genau dieselbe Arbeit wie sie!“ Mit einer lässigen Handbewegung winkt mein Vater ab. „Aber doch nur vorübergehend, damit du den ganzen Betrieb von Grund auf kennenlernen kannst!“ Ich will ihm erklären, was in mir vorgeht, aber noch bevor ich das erste Wort hervorbringen kann weiß ich, es ist sinnlos. So lasse ich ihn einfach stehen. Lange überlege ich, sie anzurufen. Aber es hätte wenig Sinn. Jetzt, wo sie weiß, wer ich bin, habe ich bei ihr sicherlich nicht mehr die geringste Chance. Denn zu den Frauen, die sich gerade an meiner Position, vor allem an meiner zukünftigen Position als Firmenleiter festbeißen, gehört sie ganz sicher nicht, das weiß ich. Aber halt – eine Möglichkeit gibt es vielleicht doch noch.
Am nächsten Morgen erscheint sie nicht zur Arbeit. Es überrascht mich nicht, als ich in der Personalabteilung erfahre, daß sie gekündigt und darum gebeten hat, sofort freigestellt zu werden. Etwas mehr Mühe kostet es herauszubekommen, in welcher Firma sie am nächsten Ersten, also in etwas mehr als zwei Wochen anfängt. Aber schließlich weiß ich, wo ich mich erkundigen muß, und bekomme auch das heraus. Der letzte Schritt ist dann so leicht, daß ich selbst darüber staune. Schwierigkeiten macht noch das Gespräch mit meinen Eltern, in dem ich ihnen mitteile, daß ich ab sofort anderswo arbeiten möchte, auf eigenen Füßen stehen und sehen, wie weit ich ohne die Unterstützung und den Einfluß meines Vaters komme.
Und dann, schon drei Tage nach diesem Vorfall, sitze ich morgens an meinem neuen Arbeitsplatz. Hier kennt mich – außer dem Personalchef – keiner, und das gibt mir ein ganz neues Gefühl der Freiheit. Ungeduldig zähle ich die Tage. Bis der Supervisor endlich an einem Morgen – ich bin extra sehr früh gekommen, um ja nichts zu versäumen – hereinkommt, in Begleitung einer wunderbaren, schönen, aufregenden Frau, und sie mir mit den Worten vorstellt: „Das ist Frau Weber, Ihre neue Kollegin.“
Und ich die Genugtuung habe zu sehen, wie sich erst Fassungslosigkeit in ihren herrlichen Augen ausbreitet, und dann ein Strahlen, das den ganzen Raum zu erhellen scheint. Ich springe auf, und vor allen anderen schließe ich endlich, endlich meine Arme um sie.

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