Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Jessi samstags am späten Vormittag anzurufen und sich mit ihr zum Essen zu verabreden. An diesem Tag hatte er frei, sowohl von der Arbeit als auch von seinen häuslichen Pflichten, außer wenn etwas Unvorhergesehenes eintrat oder etwas Besonderes anstand, etwa eine größere Reparatur im Haus oder ein größerer Einkauf, doch das war selten der Fall. Das Reihenhaus in dem ruhigen, verschlafenen Vorort, in dem er mit seiner Frau wohnte, war solide gebaut und da er keinen handwerklichen oder gestalterischen Ehrgeiz besaß, gab es für ihn nicht viel zu tun, auch nicht in dem kleinen Garten, dem Reich seiner Frau. Sie waren kinderlos und beide berufstätig, er in einer Softwarefirma, sie als Lehrerin an einer Realschule. Ihr Einkommen war nicht übermäßig, aber es reichte zu einem unbeschwerten Leben, sogar mit etwas Luxus. In ihrer Beziehung hatte sich im Laufe der Zeit eine gewisse Gleichgültigkeit eingestellt, ein Trend vom Miteinander der frühen Jahre zu einem weitgehend reibungslosen Nebeneinander. Reibungen kamen von anderer Seite. Bei ihm war es der Beruf. Er war als Spezialist für Internetbanking mit Projekten befasst, die als höchst wichtig und höchst dringlich galten. Man erwartete von den Mitarbeitern, dass sie sich voll einsetzten, ihr Bestes gaben, ohne Rücksicht auf private Dinge. Oberstes Ziel war, die Auftraggeber mehr als zufriedenzustellen. Er spielte selbstverständlich mit, weniger aus Überzeugung als aus der Einsicht, dass trotz aller Spezialisierung und Erfahrung ein anderer recht schnell seine Stelle einnehmen könnte, der Konkurrenzdruck war sehr hoch. Als Folge dieser Ausbeutung, denn nichts anderes war es, stand er unter permanentem Druck und musste viel mehr Zeit in die Arbeit investieren, als ihm eigentlich recht war. Seine Freizeit war viel zu knapp, viel zu kurz, um sich zu erholen, geschweige denn, um noch anspruchsvollen Interessen nachzugehen oder gar an etwas Kreatives zu denken.
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