Der Korridor

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Der Korridor

Der Korridor

Anita Isiris

„Verdammte Einheitsgrössen auch!“ murmelte sie und schlüpfte in ihre Gummischuhe – bunt, rutschsicher, gegen Schweissgeruch behandelt. Entnervt stellte sie fest, dass ihr die Hose immer wieder zwischen Pospalte und Schamlippen rutschte – für den Betrachter wohl sehr erregend, für eine hart arbeitende Krankenschwester aber alles andere als lustig. Sie zerrte am Saum und zog ihre Hose etwas nach unten. Dann verliess sie seufzend ihr Zimmer. Mit wiegendem Gang – sie wiegte sich nicht etwa aus Koketterie, sondern der Bewegungsablauf war wohl irgendwo in ihren Kleinhirnkernen als so genanntes Engramm gespeichert – machte sie sich auf den Weg zur Arbeit. Wieder würde sie Herrn Brehm betreuen müssen, den 50jährigen Tetraplegiker, der zwar noch nicht in ein Altenheim passte, für den es aber keine andere Bleibe gab – und die 200 kg schwere Frau Wichser, die bloss mit Hilfe eines so genannten Kettenlifts vom Bett auf den Rollstuhl gehievt werden konnte. Claude, der Pfleger, gackerte jedes Mal wie ein Huhn, wenn Marisa am nachmittäglichen Rapport den Namen der Patientin erwähnte. „Frau Wichser“, kicherte er, „jaja, Frau Wichser“ – und jede konnte ihm ansehen, dass er darüber nachdachte, wie manches Jahrzehnt es her war, dass sich ein Mann zum letzten Mal wegen Frau Wichser einen runtergeholt hatte. Dabei war sie im Grunde gar nicht mal so unattraktiv. Einmal im Rollstuhl, pflegte sie sich während Stunden vor dem Spiegel, verfügte über eine gute Portion Humor (eine Rarität in Altenheimen) und hatte eine angenehm rauchige Stimme. Man konnte sich schon vorstellen, dass sie früher mal… na ja, Ihr wisst schon.

Derart in Gedanken versunken, stellte Marisa aufs Mal fest, dass der Boden unter ihr etwas nachgab. Es schien ihr, als schreite sie über Watte, und die Korridorwände links und rechts von ihr rückten enger. Sie verspürte aber keinerlei Panik und setzte ihren Weg fort.

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Gedichte auf den Leib geschrieben