Kurzes Gelbes

5 4-7 Minuten 0 Kommentare
Kurzes Gelbes

Kurzes Gelbes

Anita Isiris

„Schämstdudichdennnichtsoausdemhauszugehen?"
Diesen Satz kennen viele von uns. Er stammt von Eltern, die auch mal jung waren und sich aufreizend angezogen haben – sonst wären sie womöglich gar nie aufeinander aufmerksam geworden und hätten sich nie kennen gelernt.
Christine ging aber wirklich etwas weit mit ihrem kurzen und eng anliegenden Baumwollkleid. Das Kleid schmeichelte ihrer Figur, klar. Das Obszöne war die Farbe. Dieses Knatschgelb, das sie aus allen herausleuchten liess. Zudem war ihr Hintern etwas zu gross für das Teil, obwohl ich der Meinung bin, dass gerade rundliche Frauen mit etwas breiteren Hüften sich durchwegs nicht verstecken müssen. Wohlwollend betrachtete Herr Erni seine Tochter. Die jungen Frauen waren eben so und liebten es, sich zu zeigen, so, wie es ihnen auf RTL II vorgemacht wurde. Es war Christines erster Tag am neuen Arbeitsplatz in Biel, einer schmucken Schweizer Industriestadt, die zwar nicht direkt am See gelegen ist, aber doch einen Standortvorteil hat. „Donnerwetter", liess sich ein Nachbar vernehmen, der bereits frühmorgens aus einer Zwangsneurose heraus das Treppenhaus wischte.
Zu wischen gab es in diesem Killersommer nun wirklich nichts – höchstens etwas Staub aus der Sahara, der angeblich über den Gotthard geflogen kommt und die Schweiz mit einer feinen rötlichen Schicht überzieht, dann und wann. Der Nächste, der nervös wurde, war ein Radfahrer. Fast wäre er in den Randstein geprallt. Eine Hirnerschütterung hätte er aber locker weg gesteckt – mit dem Bild der drallen Christine im kurzen Gelben als letzte Erinnerung. „Voulez-vous coucher avec moi?" Der schwarze Rapper am Bahnhof war schon etwas penetranter. «Non, merci.» Christine stellte sich in die Schlange für einen Take Away Kaffee. Die zwei jungen Männer hinter ihr gingen in die Knie, so, als müssten sie Schuhe binden. Der eine von beiden hatte aber bloss Sandalen an.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 2497

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben