Laila

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Laila

Laila

Jürgen Lill

Aber als ich sie erreichte, war das Mädchen nicht mehr da.
Fata Morgana, schoss es mir durch den Kopf.
Ich suchte die ganze Gegend ab, entdeckte aber keine Spur mehr von der schönen Erscheinung. Ganz offensichtlich war ich wieder allein.
Was sollte ich also machen? Ich nutzte die Gelegenheit, zog mich selbst aus, stieg nackt ins Wasser und wusch mir den Staub der letzten Tage vom Körper. Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch; sauber, erfrischt und neu belebt. Plötzlich aber zuckte ich zusammen. Am Ufer, genau an der Stelle, an der ich vorher gestanden hatte, stand jetzt das Mädchen. Allerdings war es jetzt nicht mehr nackt, sondern trug einen Kaftan und einen Schleier, der ihr Gesicht verbarg. Die Rollen waren jetzt vertauscht und ich fragte mich unwillkürlich, ob das Mädchen mich vorher auch gesehen hatte. Seine schwarzen Augen funkelten mich an und ich stellte erschrocken fest, dass es meine Kleidung über dem Arm trug.
Ganz dumme Situation, dachte ich mir. Kara ben Nemsi wäre so etwas ganz sicher nicht passiert.
Amüsiert über meine eigenen Gedankengänge und die Absurdität meiner Situation konnte ich mir ein leises Lächeln nicht verkneifen. Und um irgendetwas zu tun, kramte ich meine spärlichen Arabischkenntnisse zusammen und grüßte verlegen: „Sabaha al-hayri – Guten Morgen!“
Das Mädchen antwortete mit einem leichten Nicken.
Okay, dachte ich mir. Das läuft doch ganz gut.
Also versuchte ich dem Mädchen auch gleich noch klarzumachen, dass es meine Kleidung wieder hinlegen sollte. Aber es wollte meine recht deutliche Zeichensprache wohl nicht verstehen, denn es lachte nur über mich und behielt meine Kleidung über dem Arm.
„Du hast es nicht anders gewollt“, sagte ich mehr zu mir selbst, als zu dem Mädchen und schritt entschlossen auf es zu; überzeugt davon, dass es ohnehin schreiend weglaufen würde, sobald meine Morgenlatte, die sich bei dem Anblick des nackt badenden Beduinenmädchens gebildet und bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht zurückgebildet hatte, sich aus den Fluten erheben würde.

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Gedichte auf den Leib geschrieben