Lara und das Boot

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Lara und das Boot

Lara und das Boot

Anita Isiris

Der ältere Herr schaute Lara fragend an, und Lara kam sich für einen kurzen Moment vor wie eine der Hübschlerinnen, die am Dorfrand, in einem heruntergekommenen Haus, ihre Arbeit verrichteten. Aber Lara war keine Hübschlerin. Sie war eine junge Frau, die ihre Familie ernähren wollte. Und das wollte sie mit Lust, mit Neugier und mit einer gewissen Prise Abenteuer verbinden. Sie wusste, dass der Blick des älteren Herrn auf ihr ruhte, und sie ging mit wiegenden Hüften auf den Haselstrauch zu, an dem das von ihr entdeckte Boot vertäut war. Flink hüpfte sie aufs Boot, nachdem sie das Seil gelöst hatte und wandte sich um. Der ältere Herr war ihr tatsächlich gefolgt, und Lara winkte ihn mit einer einladenden Geste aufs Boot. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie wusste nicht so genau, was sie da tat. Behände, viel schneller, als Lara das von einem Sechzigjährigen erwartete, folgte der Mann Lara wortlos. Er ergriff eines der beiden Ruder und stiess ab. „Wie heisst Du?“, fragte er sie mit heiserer Stimme. Es musste sich um einen dieser auswärtigen Geschäftsherren handeln, die immer wieder auftauchten, um mit dem Dorfmeister ins Gespräch und ins Geschäft zu kommen. Lara sagte ihm ihren Namen. „Ich habe Zeit“, sagte der ältere Herr, und Lara war schon nur wegen der ungewöhnlichen Situation überaus aufgeregt. Jetzt, wo sie ihm ins Gesicht blicken konnte, stellte sie fest, dass er angenehme, offene Gesichtszüge hatte, und sie fühlte sich als Fischerin, die einen guten Fang getätigt hatte. „Bezahlst Du mich?“, fragte sie mutig. Wortlos entnahm der Alte seinem dunklen Mantel ein Ledertäschchen und zeigte Lara vier Goldmünzen, die im Lichtschein blinkten. So wurde der Vertrag geschlossen, ohne viele Worte, und Lara machte sich zögernd an den Knöpfen ihres Kleides zu schaffen, nachdem sie ihr Jäckchen ausgezogen hatte. Das Boot driftete gegen die Mitte des kleinen Sees, und Lara war bewusst, dass man sie vom Strand aus beobachten konnte.

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