Zürich-Schwamendingen, Berlin-Spandau, Bern-Bümpliz, Liverpool-Toxteth. Man findet diese Vororte überall, diese lieblos hingeklotzten Agglomerationen, in denen es von abgefahrenen Autoreifen, weggeworfenene MacDonalds-Packungen und Gemüseabfällen nur so wimmelt. Diese Gegenden, Zeichen unserer Zeit, bergen aber auch Juwelen. Die Juwelen dieser Agglos sind die Frauen. Frauen, die in sonnenlosen Hinterhöfen Kleinkinder stillen, Frauen, die auf kitzekleinen Betonbalkonen Blumen anpflanzen oder Kindergeburtstage organisieren, für alle, die Kuchen essen mögen. Laura war eine solche Frau. Zwei Kinder hatte sie geboren, Jon und Sina, und ihr einst straffer Körper war dadurch etwas aus der Form geraten. Er entsprach nicht mehr dem Beuteschema ihres Mannes; dieser vergnügte sich längst anderweitig. Gleichzeitig wähnte er sich seiner Laura sicher. Wer wollte denn schon einen Frauenhintern liebkosen, der Dellen aufwies, weil er so fett war; wer wollte denn schon an Nippeln lutschen, die zwei Kinder ernährt hatten – und wer wollte denn schon auf einem Frauenbauch abspritzen, der feine Schwangerschaftsstreifen zeigte? Objektiv gesehen, war da schon was dran: Laura hatte tatsächlich einen Megahintern, Brustwarzen, die man eher als Zitzen bezeichnen konnte, und Dehnungsstreifen am Unterbauch. Ihr Mann Klaas, ein leidenschaftlicher Fussballer, hielt es eher mit sportlichen Frauen. In der Turnschuhfabrik, in der er eine leitende Position inne hatte, gab es zahlreiche Praktikantinnen, die seiner Vision von elegant geschwungenen Schultern, kecken, stromlinienförmigen Brüsten, strammen Pobacken und muskulösen Waden am nächsten kamen.
Klaas machte reichlich Gebrauch von seiner Position. Man hätte nicht behaupten können, dass er Mitarbeiterinnen belästigte. Ein derart verwerfliches und unschönes Verhalten legte er nicht an den Tag. Er hielt sich durchaus an den ungeschriebenen und doch vorhandenen #MeToo-Kodex. Es gab aber immer mal wieder neue Kollektionen anzuprobieren, und hierzu boten sich die jungen Frauen in seinem Betrieb geradezu an. Fast jede träumte von einem Casting, einem Catwalk oder einer kleinen diskreten Modeschau vor dem Chef, unverbindlich, in sicherem Rahmen, einfach so, zum Spass. So kam Klaas fast täglich in den Genuss geschwungener Schultern. Kecker, stromlinienförmiger Brüste. Strammer Pobacken. Muskulöser Waden. Undsoweiterundsofort. Derwil schrubbte Laura zuhause den kleinen Balkon, bohnerte den Wohnzimmerboden, schleppte Pampers-Packungen für die kleine Sina heran und plättete die Streifenhemden von Klaas. Als Ersatzbefriedigung für diesen eher suboptimalen Lebenswandel gönnte sie sich pro Tag mindestens eine Tafel Schokolade, Paprika-Chips und süsses Frauenbier mit dem klingenden Namen Eve. Von einer Eva war Laura mittlerweile ziemlich weit entfernt. Sie pflegte sich zwar, aber ihr Körper hatte sich ihrer Kontrolle entzogen. Die “Big is beautiful”-Abteilung im H & M stiess sie ab. Sie fand nicht nur den Slogan “big is beautiful” zynisch, angesichts der Modelle, die H & M sonst bekleidete, sondern verstand nicht, wieso in dieser Abteilung die Trauerfarben schwarz und grau vorherrschten, und, wenn es hoch kam, etwas Biederes, Geblümtes. Die Sortiments-Manager hatten wohl nichts anderes im Sinn, als Frauen wie Laura das Leben noch schwerer zu machen und sie dazu zu drängen, abzunehmen. Sodann passten sie wieder in bunte Bhs, unverschämte Strings und tiefsitzende lindgrüne Jeans.
Lauras Körper
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