Licht am Abgrund

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Licht am Abgrund

Licht am Abgrund

Birgit Enser

In dem Windspiel aus buntem Glas und Perlen brach sich das Licht der Sonne und zauberte bunte Lichtreflexe auf die kahlen Wände des Zimmers.
Verspielt huschten die Punkte über das Gesicht der Frau, sodass sie blinzeln musste.
Fast erwartete sie, dass ihre Katze auf's Bett springen würde, um einen dieser flinken Lichtpunkte zu fangen, doch dann wurde ihr lächelnd bewusst, dass sie ja gar nicht zu Hause war.
Es war Mittwoch und sie wartete.
Wartete auf den Mann, den sie liebte. Den Mann, der diese Leere in ihrem Leben ausfüllte.
Zärtlich strich sie über die noch kühle Hälfte des Bettes und schloss wohlig die Augen bei dem Gedanken daran, dass er gleich durch diese Tür kommen würde.
Er liebte es, wenn sie schon hier auf ihn wartete, nur bedeckt von den kühlen Laken.
Und sie liebte seine Ungeduld, dass er es kaum erwarten konnte, sich auszuziehen, unter die Decke zu schlüpfen, in ihr zu sein.
Doch dann ließ er sich Zeit, flüsterte ihr Liebkosungen ins Ohr, die sie manchmal erröten ließen, und wenn er sie ansah, hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, wirklich als Person wahrgenommen zu werden, wirklich da zu sein.
Sie fühlte sich sicher und geborgen in seiner Nähe, wusste, er würde sie auffangen, kannte er doch ihre Ängste und Sehnsüchte besser als sie selbst.
Zum ersten Mal in Ihrem Leben hatte sie sich einfach fallen lassen, war ein Risiko eingegangen. Hatte sich ihm geschenkt ohne Maske, ohne Mauer, schutzlos.
Sie sah auf die Uhr. Er kam spät heute, und einen kurzen Moment kroch wieder die Angst in ihr hoch, sie könne ihn verlieren.
Sie fror und kuschelte sich noch tiefer in die weichen Laken.
Nein, er würde gleich da sein, er hatte es versprochen.
"Vertrau' mir, ich liebe dich." hatte er gesagt....

Zur gleichen Zeit.......

Seit einer Dreiviertelstunde schon saß er in dem kleinen Café schräg gegenüber des Hotels.
Er hatte sie hineingehen sehen, wusste, dass sie nun auf ihn wartete, und es fiel ihm verdammt schwer, jetzt nicht über die Straße zu gehen, um endlich bei ihr zu sein.
Sie trug wieder das dünne Sommerkleid, dass sich bei jedem ihrer Schritte eng an ihren Körper schmiegte.
Er sah sie gern an, und sie wusste das. Manchmal konnte sie rot werden wie ein kleines Mädchen, doch er liebte ihre zurückhaltende Art.
Und auch er fühlte sich oft wie ein Schuljunge, wenn er ihr im Laufe des Tages immer wieder kurze Nachrichten schickte, nur zwei, drei Zeilen, um ihr zu sagen, wie sehr er sie doch vermisste.
Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken daran, dass er ihr so wehtun musste, und gleichzeitig hasste er sich für seine Feigheit.
Er hatte sich noch nie einem Menschen so nahe gefühlt, das machte ihn glücklich und es jagte ihm gleichzeitig auch eine Heidenangst ein.
Die Angst, sich zu verlieren ... in ihr, in seiner Liebe zu ihr. Er hatte Angst, dass er für sie sein Leben aufgeben könne, alles hinschmeißen, was ihm bisher wichtig schien.
Er rief die Kellnerin, bezahlte seinen Kaffee und drückte seine Zigarette aus. Dann ging er davon, ohne sich umzusehen.
Und er hoffte, dass sie es verstehen würde. Seine Augen brannten.
Für ihn gab es kein Licht am Abgrund...

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