„Der wahre, tiefe Friede des Herzens
und die vollkommene Gemütsruhe
sind allein in der Einsamkeit zu finden“
(Arthur Schopenhauer)
Zufrieden schaute er noch einmal aus dem Fenster. Diese Nacht war wie geschaffen für sein Vorhaben. Die angekündigten Gewitter waren ausgeblieben, und der Vollmond ließ den Wald vor sich in einem gespenstischen Grau erscheinen. Eine laue Sommernacht. Er würde sie zelebrieren, diese Nacht, diesen Morgen. Einen kleinen Moment blieb er noch stehen, bevor er in T-Shirt und Hose schlüpfte und seinen Rucksack ergriff, den er schon am Abend gepackt hatte. Auf dem Weg zur Tür sah er seine hagere Figur im Spiegel. Er war sich lang als zu klein erschienen, zu wenig als Mann, doch sie hatte ihn genommen, wie er war, seine Zärtlichkeit zu schätzen gewusst, seine Behutsamkeit genossen, so viele Male. So viel hatte sie ihm gegeben. Warum hatte sie ihn verlassen müssen?
Schnell hatte er den Wald erreicht, nur vom Mondschein geleitet. Er brauchte kein Licht, zu genau kannte er den Weg. Oft war er ihn gegangen, manchmal alleine, häufig mit ihr, tagsüber, am Abend, auch nachts, auch in seinen Träumen. Niemand würde ihn stören in dieser Nacht, um drei Uhr kam hier niemand vorbei, und die wenigen Spaziergänger am frühen Morgen würden auf den Wegen bleiben, nicht seine Lichtung suchen.
Seine Lichtung. Ein kleines Rund, mit Gras und Laub bedeckt, umrandet von hohen Buchen. Er legte seinen Rucksack in der Mitte ab, seinem Lieblingsplatz. Mit ausgebreiteten Armen drehte er sich langsam im Kreise. Die Bäume wirkten noch höher in dem fahlen Licht des Mondes, noch mächtiger, stärker wie so viele Menschen in seiner Umgebung, aber in diesem Kreise, in der Gesellschaft dieser langen Gestalten fühlte er sich wohl. Er würde jeden Einzelnen der Runde begrüßen. Langsam begann er, sein T-Shirt abzulegen. Er wollte zu jedem der Bäume gehen, nackt wollte er sie berühren, nur so konnte er ihre Kraft wirklich spüren. Die frische Kühle der Nacht prickelte auf seiner Haut, das feuchte Gras benetzte seine Füße, als er Schuhe und Strümpfe auszog. Er hatte er sich genau ausgemalt, wie er die Runde gehen würde, obwohl es nicht wichtig war, in welcher Reihenfolge er vorging, nur den einen besonderen Baum, den wollte er zuletzt besuchen, jenen mit den zwei ineinander gewachsenen Stämmen, zwischen denen sie gelehnt hatte, an jenem frühen Sommermorgen, als er sie das erste Mal geküsst hatte, seine Liebe, älter als er, zwölf Jahre älter, Jahre, die ihm damals wie eine Ewigkeit vorkamen, und doch war sie eins mit ihm. Noch einmal drehte er sich im Kreise, dann streifte er auch seine Hose und die Boxershorts in einem Zuge ab. Nun stand er so da, wie er es sich vorgestellt hatte, nackt im Mondlicht, nachts auf der Lichtung, seiner Lichtung, die Arme weit von sich gestreckt, atmete die frische Nachtluft ein, spürte die Brise auf seiner Haut.
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