Daryna war auf dem Weg zur Front. Was man so Front nannte in diesem Krieg. Das Hinterland war auch Front, überall schlug der Tod heimtückisch zu. Sie fühlte sich als Angehörige der Armee in einer Nachrichteneinheit im Grunde nicht mehr gefährdet als jeder Zivilist. Ein Nachschub-Lkw hatte sie mitgenommen. Nachdem der Beifahrer das kleine Bäuchlein unter ihrer Feldbluse gesehen hatte, nahm er großmütig auf der Ladefläche zwischen den Militärgütern Platz und überließ ihr den Sitz neben dem Fahrer. Ja, sie war im fünften Monat und die Schwangerschaft war ihrer schlanken Figur bereits anzusehen. Ihre Einheit hatte sie für einen ganz besonderen Anlass für einen Tag beurlaubt. Am Abend würde sie heiraten. Die eigentlich längst geplante große Hochzeitsfeier mit Verwandten und Freunden war wie so vieles andere dem Krieg zum Opfer gefallen.
Endlich war sie da. Der LKW-Fahrer hielt und ließ sie aussteigen. Sie nahm ihren Rucksack und ihre Kalaschnikow und folgte der Ausschilderung, die den Weg zu Yaroslavs Kompanie wies. Schon von weitem sah sie die stoppelbärtigen verdreckten Männer zusammenstehen. Als sie bemerkt wurde, standen einigen vor Überraschung der Mund offen. Eine Frau, zumal sauber und in frischer Kleidung, hatten sie schon einige Tage nicht mehr gesehen. Vielleicht lag es auch daran, dass die bereits tief im Westen stehende Wintersonne durch ihr offen getragenes schulterlanges rotblondes Haar schien und sie engelsgleich auf die Gruppe zu schwebte.
Es dauerte, bevor sie zwischen all den Erdferkeln, die sich Grenadiere nannten, ihrer Yaroslav erkannte. Er eilte auf sie zu und nahm sie in die Arme. Wenig später hatte sich der Zug dem Yaroslav angehörte, mit dem Brautpaar an einem relativ sicheren Ort hinter einem massiven Gebäude zur Zeremonie versammelt. Ein Militärpfarrer, der statt Dienstgradabzeichen das Kreuz der orthodoxen Kirche auf den Schulterklappen trug, nahm die Trauung vor. Sie war kurz und auf das wesentliche reduziert, aber durchaus würdevoll. Der Kompanieführer, Oberleutnant Danylenko, verabschiedete Yaroslav danach mit einem breiten Grinsen in einen 12stündigen Urlaub. Dann führte ein Kamerad sie zu einem Haus dessen halbe Fassade weggerissen war. Auf den Fassadenresten prankte in großen ungelenken Buchstaben eine Graffiti: „Путин это хуй“ was so viel wie „Putin ist ein Arschloch“ bedeutete. Die nur noch teilweise vorhandene Vorderwand des Hauses täuschte aber über den Gesamtzustand hinweg. Im Hausinneren gab es einige unbeschädigte aber von den Bewohnern verlassene Wohnungen. In einer hatten die Kameraden heimlich Vorkehrungen getroffen.
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