Liebesdoktor

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Liebesdoktor

Andreas

Sonja fühlte sich unwohl. Seit Tagen spürte sie dieses Kratzen im Hals, zu dem sich nun auch noch Kopfschmerzen gesellten. Die dunkelhaarige Frau versuchte es zunächst mit Globuli, die ihr schon oft gute Dienste geleistet hatten. Sonja wollte nicht zuhause bleiben, da es momentan sehr viele Ausfälle gab. Sie arbeitete als stellvertretende Leiterin eines großen Supermarktes, der in der jetzigen Zeit besonders stark frequentiert wurde. Sonja brauchte nur an die Regale mit dem Toilettenpapier denken, um jeden Gedanken an einen etwaigen Krankenstand sofort beiseite zu wischen. Sie kam mit dem Nachbestellen kaum noch hinterher, seit die zweite Welle der Pandemie aufgeflammt war. Sonja kannte mittlerweile Leute aus ihrem Bekanntenkreis, die sich das Virus eingefangen hatten. Diese Tatsache machte sie nervös, bis sie schließlich doch in der Praxis ihres Hausarztes anrief. Sie bekam einen Termin in der Fiebersprechstunde, da sie leicht erhöhte Temperatur hatte. Sonja war beruhigt, als sie das Telefon aus der Hand legte. Falls es sie doch erwischt hatte, war es auf jeden Fall besser, einen Antikörpertest zu machen. Sonja hatte die Verantwortung für ihr Team, das sie keiner unnötigen, zusätzlichen Gefahr aussetzen wollte. Sie kannte Doktor Lieb seit Jahren. Der Endfünfziger behandelte Sonja schon, als sie ein Mädchen war, das ihn händeringend um ein Pillenrezept anbettelte. Dr. Lieb zeigte sich sehr verständnisvoll, obwohl er Sonjas Anliegen letztlich ablehnen musste. Er erklärte dem 18jährigen Mädchen jedoch, dass es auch andere Arten der Verhütung gab. Albert Lieb legte Wert darauf, dass Empfängnisverhütung beide Geschlechter anging. Er drückte Sonja Kondome in die Hand, mit dem Hinweis versehen, dass sich ihr Freund so ein Ding gefälligst überstülpen sollte! Das war nun auch schon wieder 20 Jahre her, stellte die alleinstehende Frau schmunzelnd fest. Sonja musste in einen separaten Raum, da bei ihr Infektionsverdacht bestand. Eine Arzthelferin in einem Plastikkittel empfing sie. Sonja konnte schlecht atmen, was auch an ihrem Mund-Nasenschutz lag. Dr. Lieb saß hinter seinem Schreibtisch, der mit Notizzetteln und Aufschrieben übersät war. Sonja fand dieses Chaos sympathisch, wie auch den grauhaarigen Arzt, der es verursachte. Albert Lieb strahlte etwas Gütiges aus, ohne dabei in irgendeiner Weise großväterlich zu wirken. Sonja spürte eine Hitze in sich aufsteigen, die nicht nur vom leichten Fieber herstammte.

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