Lisa

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Lisa besass kein Handy. Sie hatte keinen Internetanschluss. PCs waren ihr fremd. Noch nie hatte sie gechattet, sich per ICQ irgenwen aufgegabelt oder sich gar eine e-mail-Adresse zugelegt. Lisa war trotz alledem eine moderne Frau. Sie stammte aus einer ländlichen Region und hatte sich soeben eine kleine Wohnung im Aussenstadtquartier zugelegt. Nein, eine Grossstadt war das nicht, wo sie jetzt lebte – aber doch was ganz anderes als das kleine Dorf, das weder Bahnhof, noch Post, noch Tante-Emma-Laden, noch Kirche besass. Das einzige, was ihr Dorf sein Eigen nannte, war eine lärmige Durchgangsstrasse, die in die besagte Stadt führte, deren Einwohner nicht einmal die 1-Mio-Grenze überschritten. Lisa war neugierig auf das Leben dort und betrat mit Herzklopfen die kleine stickige Bar, in der sie von nun an arbeiten würde. Speziell für ihren ersten Arbeitstag hatte sie sich eine neue Jeans gekauft, mit Reissverschluss am Hintern, damit das Kleidungsstück besser anlag. Sie trug ein orangefarbenes T-Shirt, das ihre Brüste gut zur Geltung kommen liess, und hatte sich in einem Klunkerladen die passenden Ohrclips dazu gekauft. Lisa freute sich auf den Job hinter dem Tresen. Sie wusste, dass das Gastgewerbe allgemein schlecht bezahlt war – und wenn schon, dann Tresen. Sie hätte es nicht gemocht, zwischen den Gästen herumzuwuseln, sich den Hintern betatschen zu lassen oder sich Vorwürfe von Leuten anzuhören, die schon seit einer Minute auf die Rechnung warteten. Viel lieber schenkte sie Bier ein, schwenkte Gläser und beobachtete die Kundschaft. Auch Lisa wurde beobachtet – insbesondere von Herrn K., der über die Verhältnisse im Quartier gut angezogen war und ein sympathisches Gesicht mit einer etwas grob geratenen Nase hatte. Wie ein Adler beobachtete Herr K. jede von Lisas Bewegungen.

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