Der Lockdown im März 2030 wurde so rasch verhängt, dass die Schweiz innert Minuten aufhörte zu atmen. Hunde, die hätten Gassi gehen sollen, mussten ihr Geschäft auf den Balkonen verrichten. Kühlschrank-Milch, die sauer war und hätte ersetzt werden sollen, wurde ausgetrunken, weil die Migros auf der anderen Strassenseite ihre Tore augenblicklich schloss. Retourenbehältnisse, die sich im Keller unten türmten, türmten sich zu noch viel grösseren Bergen, weil die PET-Abgabestellen von einem Moment auf den andern blockiert wurden. Sie galten ohnehin als Virenschleudern «par excellence».
Was den Menschen an jenem Spätnachmittag des 15. März 2030 den Atem raubte, war die nicht zu überbietende Virulenz des neu entdeckten Virus HNN7.12F. Verglichen damit war das Covid-19 Virus vom Vorjahr ein Goldfisch. Oder ein gezähmtes Meerschweinchen. HNN7.12F war böse. Richtig böse. Es überwand die Blut-Hirn- sowie die Plazentaschranke spielend, und dann begann es einfach zu spielen. Es spielte mit der Grosshirnrinde Golf. Es spielte mit den Basalganglien Verstecken. Es spielte mit den Embryonen Räuber und Polizist. Wer infiziert war, war von einem Moment auf den andern, was das Verhalten anging, nicht wiederzuerkennen. Es gab ernste, introvertierte Menschen, etwa Juristen und Bankbeamte, die aus dem Nichts heraus brüllten vor Lachen. Es gab unbescholtene Hausfrauen, die im Aldi zwischen Tiefkühltruhe und Kasse schamlos masturbierten. Es gab Ärzte, die während komplexester Operationen ihre Skalpelle für Pfeilwurfspiele einsetzten. Einbahnstrassen gab es nicht mehr, und auf praktisch allen Autobahnen dieser Welt nahm der direkte Gegenverkehr massiv zu. Wer Glück hatte, wich auf die Pannenstreifen aus. Wer Pech hatte, eben nicht.
Es gab somit gute bis sehr gute Gründe für diesen vom ersten Bundesrat mit Migrationshintergrund, Niala Tesreb, mit ernstem Gesicht verhängten ultimativen Lockdown, der vorerst bis zum Spätherbst andauern sollte.
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