Lottes Erziehung

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Lottes Erziehung

Lottes Erziehung

Andreas

Oder einen Erzieher, der in die Rolle ihrer Mutter schlüpfte. Ich wusste es nicht und ehe ich Lotte danach fragen konnte, klopfte jemand hektisch an meine Zimmertür. „Herr Lehmann! Eine Frau Meyer steht draußen. Sie möchte ihre Tochter Lotte abholen!“ Lotte wurde kreidebleich. Sie zog sich rasch ihren Rock an, nachdem sie das Höschen hochgezogen hatte. „Verdammt, Mama muss mein Rad entdeckt haben!“ Na klar, ich wusste nun, dass es ein Fehler war, Lottes Fahrrad nicht in den Hof zu stellen. Dort hätte es Frau Meyer nicht entdecken können, als sie vom Einkaufen nachhause lief.

Lotte hob bedauernd die Hände, ehe sie mein Zimmer verließ. Herr Lehmann beteuerte, dass sie sehr unglücklich wirkte, als sie von ihrer Mutter in Empfang genommen wurde. Einen Tag danach traf ich Lotte erst in der Mittagspause wieder. Am Morgen fand ich einen Zettel, der mit Tesa auf meinen Sattel geklebt wurde. Ich sah Lottes Handschrift, als ich das Stück Papier auffaltete. „Lieber Hansi, heute wird es nichts mit Fahrradfahren! Wir sehen uns dann später in der Kantine. Deine Lotte.“ Meine Kollegin saß verlegen vor ihrem Reibekuchen, von dem sie noch nicht viel gekostet hatte. „Hallo Hansi, ich konnte heute früh nicht mit dir ins Geschäft radeln. Das Sitzen ist so schon schwierig. Mama war stinkig, weil ich sie angelogen habe. Dafür gab es dann einen Povoll, allerdings mit ihrem Kochlöffel. Ich beneide dich wirklich, weil du hinter deinem Schalter auch mal aufstehen kannst.“ Ich bedauerte Lottes Missgeschick. Andererseits hatte ich den Eindruck, dass sie ihre Strafe als gerechtfertigt betrachtete. Lotte wollte immer noch wissen, ob ich mir ihre zukünftige Erziehung zutrauen würde. Ich spürte in diesem Moment, dass ich selbst auch gute Gründe hatte, um Lotte übers Knie zu legen. Ich sah ihr tief in die Augen. „Sobald dein Po sich erholt hat, werde ich mich für dein vorlautes Mundwerk revanchieren. Ich habe nicht vergessen, wie du mich gestern getriezt hast. In Zukunft werde ich andere Saiten aufziehen!“ Lottes Züge entspannten sich, obwohl ihr das Hinterteil schmerzte. Sie beugte sich in meine Richtung und ehe ich mich versah, küsste sie mich zärtlich auf meine Lippen. Es war ein kurzer, aber sehr intensiver Kuss. Kurz vor Ende der Pause hörte ich Lotte sagen. „Ich bin froh, dass du endlich gemerkt hast, was ich brauche. Ich bin mir sicher, dass Mama nichts dagegen hat, wenn du sie ein bisschen entlastest.“ Von diesem Tag an begann ich damit immer mehr Verantwortung für Lottes Erziehung zu übernehmen. Frau Meyer schien dankbar zu sein, dass ich mich um ihre Tochter kümmerte und dies bis weit über Lottes 21. Geburtstag hinaus. Mein Schatz neckt mich auch heute noch manches Mal, nur belasse ich es dann bei einer verbalen Drohung. Denn in unserem hohen Alter sollte man sorgsam mit seinen Ressourcen umgehen. Auch wenn ich finde, dass die Wände in unserer Seniorenresidenz sehr gut gedämmt sind.

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