Lottes Erziehung

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Lottes Erziehung

Lottes Erziehung

Andreas

Ich wartete auf sie an der vereinbarten Stelle. Jeden Morgen um 7 Uhr vor dem kleinen Kiosk, und wie immer kam Lotte ein paar Minuten später. Ich war ihr deswegen nicht böse. Lotte gehörte zu den Menschen, die jeden begangenen Fehler mit einem entwaffnenden Lächeln aus der Welt schaffen konnten. Sie lächelte dann auch auf verschmitzte Weise, als sie mit ihrem Fahrrad endlich eintraf. Diesmal traf sie noch etwas später ein, als es üblicherweise der Fall war. „Entschuldige, dass ich dich warten ließ. Meine Mutter wollte noch unbedingt etwas mit mir besprechen, ehe ich aus dem Haus ging.“ Ich schüttelte den Kopf. „Passt schon, Lotte! Aber was war denn so wichtig, wenn ich das fragen darf?“ Lotte zog eine Schnute. Ich bemerkte eine leichte Röte, die ihre Unsicherheit deutlich machte. „Erzähle ich dir später. Wir müssen uns beeilen, wenn wir nicht zu spät auf der Arbeit sein wollen!“ Da konnte ich Lotte nicht widersprechen. Wir befanden uns zwar beide nicht mehr in der Probezeit, aber unser Chef legte großen Wert darauf, dass seine Angestellten pünktlich an ihrem Arbeitsplatz eintrafen. Lotte und ich arbeiteten bei einer örtlichen Filiale der Sparkasse. Wir beide hatten dort auch unsere Lehren absolviert. Lotte als Sekretärin und ich als Bankkaufmann. Mit 18 bzw. 19 Jahren hatten wir unseren Abschluss in der Tasche, und zu unserer großen Freude wurden wir auch beide übernommen. Nun arbeiteten wir nicht nur schon zwei Jahre lang in unseren Berufen, sondern fuhren auch mit den Rädern gemeinsam zur Arbeit. Heute radelte ich wie immer hinter Lotte her. Mir fiel auf, dass sie den direkten Kontakt mit dem Fahrradsattel scheute. Das kam immer mal wieder vor. Aber heute verzichtete Lotte beinahe die ganze Strecke darauf, im bequemen Sitzen in die Pedale zu treten. Ich hatte sie bisher nicht darauf angesprochen, da Lotte mir heute jedoch eine Vorlage gab, wollte ich diese auch nutzen.

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