Lou

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Lou schaut aus dem Fenster auf das Meer. Das Meer ist glatt und schimmert wehmütig wie ein blaues Seidentuch, zerknittert an manchen Stellen. Lou kämmt ihre Haare mit einem Kamm aus Glas und reibt ihre Haarspitzen mit Mandelöl ein. Heute erwartet sie Besuch. Für diesen Besuch bereitet sich Lou sorgfältig vor. Nach den Haaren massiert Lou ihre langen Beine mit Rosenmilch. Langsam und gründlich streichelt sie ihre Waden, ihre Knie, ihre Schenkel mit der duftenden Milch und summt dabei ein Wiegenlied. Lou betrachtet sich von der Seite im Kristallspiegel im dunklen Flur. Sie zieht den Bauch ein und hält die Luft an. Sie geht ins Schlafzimmer und holt Seidenstrümpfe und Strumpfgürtel aus der Schublade. Heute wird sie sich blütenweiß geben. Der Besuch will Unschuld. Das sagte er höflich und bestimmt am Telefon. Lou holt ein lilienweißes, kurzes Kleid aus dem Schrank. Sie stellt sich wieder vor den Spiegel. Du bist hübsch, sagt Lou zum Spiegel und lacht und schneidet Grimassen.
Es ist gleich sieben, der Abendwind raschelt durch die Espen und Lou zittert. Wird sie dem Besuch gefallen?
Das Telefon klingelt.
Mama? Was ist denn wieder los? Nein, ich kann heute nicht. Nein, es geht wirklich nicht. Ich bekomme Besuch.
Lou geht in die Küche und kocht Orangenblütentee. In die weiße Porzellantasse gießt sie Rum aus Übersee.
Lou setzt sich auf das rote Samtsofa mit den goldenen Kissen und wartet.
Sie spielt mit ihrer Perlenkette und schaut verträumt auf das Meer. Es wird dunkel, man sieht die Lichter der Linienschiffe, viele, kleine Sterne auf schwarzem Sand. Lou trinkt ihren Tee und weint. Die Tränen tropfen in den Tee.
Es klingelt an der Tür. Lou geht langsam am Spiegel vorbei, sie richtet ihr Kleid und streckt ihrem Spiegelbild die Zunge aus. Du Luder, flüstert Lou.
Ein Mann geht die Treppe hinauf, seine Schritte hallen im Treppenhaus. Langsam und dumpf geht er die Treppe hoch wie ein Ochse. Der Mann steht vor ihr. Er sieht ernst aus. Das Gesicht ist verschlossen, in seinem Mund hängt eine Zigarre, die erloschen ist. Er trägt einen Humphrey-Bogart-Hut und einen Trenchcoat. Er mustert Lou ungehemmt. Er betrachtet ihre Beine mit zusammengekniffenen Augen und nickt anerkennend.

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