So verschlug es mich ins Weinstädtchen La Neuveville. Ich besuchte dort einen Sommer lang die Handelsschule. Intellektuell war ich nicht gerade überfordert – einmal abgesehen von der französischen Sprache, die es hier zu reden galt. Wurde man auf dem Pausenhof beim Deutsch Parlieren erwischt, gab es gleich eine ganze Note Abzug im „Usage de Français général“ - also im „alltäglichen Gebrauch der französischen Sprache.“
Wir hatten alle das Hormonsausen, um allmählich auf den Punkt zu kommen. Mein Gott, was waren die Jungs doch süss, was waren wir Girls doch naiv. Liebeskummer bereits nach der ersten Schulstunde. Es gab da einen faszinierenden Kontrapunkt zwischen dem altehrwürdigen Schulhaus und gewissen Lehrern, die vermutlich in diesen Gemäuern aufgewachsen waren – und unserer unverbrauchten Jugend, unserer unbändigen Energie, unserem Wissens- und vor allem Erlebnisdurst. Etliche meiner Kolleginnen stillten diesen Durst unten am See. Küssend fanden sie sich auf selten freien Holzbänken wieder, mit einer forschenden Zunge in ihrem Mund, eine Männerhand am Busen, die andere den Rock über die Knie hochschiebend, bis dahin, wo die Beine zusammentreffen, als müsste allen Passanten gezeigt werden, welch süsses Höschen die Geküsste trägt.
Es gab da auch ein Kino. Es war das erste und letzte Mal dass ich ein Kino mit einem Filmpianisten erlebt habe. Er war etwas gelbstichig, dieser Pianist, hatte wohl ein Leberproblem oder so, er ging gebückt und war eher verschlossen. Vertiefte er sich aber in die Filmmusik zu Charlie Chaplins „Limelight“ oder zu „A Christmas Carol“, „Scrooge“ oder so, kam Feuer in den Mann. Sein Körper war unter Strom, er wiegte sich auf dem Klavierstuhl hin und her und wir fürchteten oft, dass er eines Tages stürzen und sich eine Kopfverletzung an den Pedalen des Kinoflügels zuziehen könnte. Auch in diesem Kino wurde geküsst, aber nicht nur. Kaum eine von uns, die sich in diesem Pianokino nicht auch die Brüste hätte betasten lassen.
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