Maina

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Maina

Maina

Anita Isiris

Den ganzen Tag über dachte Herr Hufnagel an Sex. Es begann beim Zähneputzen am Morgen früh, das Thema liess ihn beim Frühstück nicht los, in der Autoeinstellhalle schon gar nicht, und an seinem Arbeitsplatz, einer Versicherungsagentur, umzingelte es ihn definitiv. Er konnte einfach nicht umhin, an sie zu denken. An Maina. Maina war die Schwester seiner indischen Nachbarin, die, allein erziehend, einem schweren Burnout verfallen war. Er vergass den Morgen nie, an dem sie sie holen kamen, die Notfallsanitäter, eine völlig verstörte Malona, nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet. Mit tellergrossen Augen stand ihre 7jährige Tochter am oberen Treppenabsatz und musste mit ansehen, wie sie ihre Mutter durch die Haustür schubsten und sie dann in einen überheizten Krankenwagen packten. Sie würde wohl für längere Zeit hospitalisiert bleiben, in der nahen psychiatrischen Uniklinik. Alina, die weinende Tochter, ging Herrn Hufnagel ans Herz. Er konnte kaum etwas tun für das Mädchen und musste sogleich zur Arbeit. Er war daher erleichtert zu sehen, wie sich eine Nachbarsfamilie ihrer annahm. Dann trat Maina in sein Leben. Maina lebte mit Ehemann und drei kleinen Kindern im fernen Assam, wo sie in einer Lehmhütte wohnte - “directly at the feet of the Himalaya”, wie sie ihm in ihrem unverwechselbaren indischen Akzent beschrieb. Maina war dann direkt nach Freiburg im Breisgau geflogen, um sich während Malonas Hospitalisierung um die kleine Alina zu kümmern. Der Familienzusammenhalt bei Indern ist sehr, sehr eindrücklich. Keine Distanz zu gross, kein Flug zu teuer, wenn es darum geht, ferne Verwandte zu unterstützen. Herr Hufnagel würde den Tag nie vergessen, an dem Maina bei ihm klingelte, ihm, dem Junggesellen, und ihn um etwas Senf für die Spaghetti bat. “Wie bitte?” hatte er nachgefragt. “Yes, you know, some mustard... I have been cooking some Spaghetti for little Alina.” Hufnagel brauchte eine ganze Weile um zu begreifen, dass die Frau aus Assam zum allerersten Mal in Europa weilte, in Deutschland nichts und niemanden kannte – von hiesigen Ernährungsgewohnheiten ganz zu schweigen. Sie lebten am Keltenbuck, in einer Häuserkolonne direkt neben dem lokalen Aldi, und Maina hatte einfach mal eingekauft. Dinge, die sie überhaupt nicht kannte. Alina hatte sie ein wenig beraten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, und durch ein Missverständnis war Maina nun überzeugt, dass Spaghetti ohne Senf ein “No Go” waren. Hufnagel war kein böser Mann. Er ging seiner Arbeit nach, polierte an den Wochenenden stolz seine alte Honda 1000 und gönnte sich ab und an ein Bierchen in der Nähe des Freiburger Doms, den er sehr liebte. Maina, die kleine Maina mit ihren riesigen Rehaugen und dem wunderschön glänzenden Haar, weckte in ihm nun aber einen intensiven Helferinstinkt. Er bat sie in die Wohnung und zeigte ihr seine fünf Senfbehältnisse: Tuben, Gläschen, Säckchen aus Plastik. Er hatte diese Senfarten in Berlin erstanden, im Kaufhaus des Westens. Er hatte einfach mal eingepackt, erschlagen von der massiven Auswahl an Gewürzen im 4. Stock oder so.

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