Wir schreiben das Jahr 1500 und befinden uns somit in der Hochrenaissance. Ich bin ein nahezu mittelloser Maler und lebe in Siena. Ich weiss, dass ich diese Stadt nie verlassen werde. Ich liebe sie über alles, und seit wenigen Tagen lebe ich in einem kleinen Dachzimmer gleich gegenüber dem Torre di Mangia. Jeden Tag plagt mich ein leichtes Hungergefühl, aber ich will nicht klagen. Oft wird mir die Kunde von wütenden Pestepidemien zugetragen – ich bin wenigstens kerngesund. Mein ganzes Leben gehört der Malerei, und besonders intensiv beschäftige ich mich mit dem Mischen des Hauttons, dieser Farbe, die sich nur schwerlich einer bekannten Kategorie zuordnen lässt. Nicht beige, nicht weiss, nicht orangefarben, sondern eine Mischung von allem. Leonardo da Vinci, ein Maler, der in Paris lebt und den ich ausserordentlich verehre, kam vor kurzem nach Siena. Ich durfte ihm über die Schulter schauen und weiss jetzt, dass er ein Magier ist. Er soll, wie gesagt wird, an einem berückenden Portrait arbeiten, das eine Frau zeigt. Eine Frau, die nicht lacht und nicht traurig ist. Eine Frau mit einem geheimnisvollen, in die Ferne gerichteten Blick. Mich magnetisiert der Gedanke, dass sich Malerei auch mit Frauen beschäftigt – ich habe hier in Siena nur Kontakt mit langweiligen Mosaikherstellern, Freskenmalern und Bleigiessern, die unsere Kirchenfenster zum Strahlen bringen sollen. Ich aber wünsche mir nichts sehnlicher als eine Frau, die sich von mir malen lässt.
Dann kommt dieser Montag, an dem bereits in den frühen Morgenstunden die Sonne den Palazzo Pubblico zum Leuchten bringt. Ich weiss dass dieser Tag in meinem Leben irgendetwas verändern wird. Der Hunger treibt mich in die einzige Bäckerei an meiner Strasse, und ich hoffe auf ein Panino. Schon der Gedanke lässt mir das Wasser in den Mund zusammenlaufen– vom Duft, der vom Frischgebäck ausgeht, gar nicht zu reden.
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