Er war, nicht zum ersten Mal an diesem Tag, verwirrt und fragte sich, was dieser eindeutige Vorstoß einer so jungen Frau sollte. Er war es einfach nicht gewohnt, dass ihm Frauen, junge zumal, Avancen machten, denn anders war es doch nicht zu verstehen, was sie so halb kryptisch, halb ungeduldig und doch sehr bestimmt und eindeutig von ihm verlangte. Es hörte sich doch danach an, dass sie nicht mehr und nicht weniger als ein Schäferstündchen mit ihm verbringen wollte. Er musste wegen des antiquierten Ausdrucks lachen, was sie wiederum irritierte. Sie schaute ihn verunsichert, aber zugleich erwartungsvoll an, konnte aber seine Antwort nicht abwarten, da ein Gast nach ihr gerufen hatte. Sie komme gleich wieder und er solle doch bitte, bitte ja sagen. Es blieb im auf diese Weise etwas Zeit, über das seltsame Mädchen und ihr noch seltsameres Angebot nachzudenken und die Lage, in der er sich so plötzlich befand, besser gesagt, in die sie ihn gebracht hatte, einzuschätzen und zu bewerten. Seit diesem Höhenaufenthalt waren alle Frauen wild auf ihn, obwohl er sich doch nicht verändert hatte, ja, sicher, ihm ging es gut und er strahlte vielleicht eine gewisse Zufriedenheit aus und vielleicht war er für manche Frauen auch attraktiv, aber doch nicht für eine solche junge Frau, die seine Tochter hätte sein können und es war ja auch nicht möglich, dass man sich in einer so kurzen Zeit so drastisch verändern konnte. Was war denn heute anders als gestern, als sie ihn nur mit einem kurzen Kopfnicken begrüßt hatte? Warum war sie auf einmal so wild auf ihn, auf einen ziemlich alten Mann ohne besondere Eigenschaften, den vermutlich nur viel Geld begehrenswert machen würde, aber darüber hatten sie ja kein Wort gesprochen? Waren das alles diese magischen Kräfte, die auf ihn übergegangen waren, von denen der Heiler immer geredet hatte? War er plötzlich zum Gigolo, zum Womanizer, zum Frauenheld, zum Don Juan mutiert? Fragen, die kaum jemand beantworten könnte, aber er musste sich gleich entscheiden, er musste ihr gleich eine Antwort geben, die Gäste hatten schon bezahlt, standen auf und sie räumte nur noch den Tisch ab. Gleich würde sie wieder bei ihm sein, gleich würde sie wissen wollen, was nun Sache sei, gleich musste er sich definitiv festlegen. Aber als sie wieder an seinem Tisch saß, wollte sie zunächst nur wissen, ob er ein Glas Sekt mit ihr trinken möge. Im Kühlschrank sei eine angebrochene Flasche, die geleert werden müsse. Das gehe natürlich auf Kosten des Hauses, versicherte sie rasch, als er zögerte. Er fragte sich, ob das ein Trick sei, ihn von ihrem Vorhaben zu überzeugen, nickte jedoch und sie schwebte davon, wirklich, sie ging ganz beschwingt, ganz leicht und wackelte mit ihrem kaum vorhanden Hinterteil und sie kam noch beschwingter zurück, die Flasche und zwei Gläser in den Händen und ein seliges Lächeln auf ihrem frischen, glücklichen, fast noch kindlichem Gesicht. Sie tranken und als die Flasche leer war, von wegen nur noch ein Rest, war es auf einmal keine Frage mehr, die entschieden und beantwortet werden musste. Es ging nur noch darum, dass er morgen früh um neun oder lieber noch früher vorbeikommen werde. Er habe doch ein Auto, ohne Auto kämen doch nur die armen Pilger und er sei bestimmt keiner. Nein bestätigte er, er sei kein Pilger, er sei bei einem Kurs im Nonnenheim und ja, ein Auto habe er. Also um neun, flüsterte sie, und als er nickte, umarmte sie ihn spontan und küsste ihn. Sie küsste nicht wie ein scheues Reh, das in eine Frau verwandelte worden war, sondern wie eine ausgehungerte Geliebte, die endlich wieder das Glück auf Erden spürte, weil ihr Liebster bei ihr war. Es war ein hoch erotischer Kuss, der ihn erregte, sogar sehr erregte, aber bevor er nachdenken konnte, wie und ob sie gleich hier und jetzt etwas Weitergehendes unternehmen könnten, etwas was diese seltsame Beziehung, diese amour foux, die ihm mehr und mehr Freude bereitete, weiter beflügeln würde, hörte sie auf, mit ihrer Zunge in seinem Mund zu wühlen, auf seine Lippen zu beißen und ihn kirre zu machen. Er solle jetzt gehen, sie würde es sonst nicht mehr aushalten und es sei ja jetzt nicht möglich, zusammen zu schlafen, obwohl sie große Lust dazu habe, aber es gehe weder bei ihr, noch in seinem Nonnenheim, aber morgen, da täten sie es, ganz bestimmt und sie sei jetzt schon glücklich sehr glücklich, er sei der Mann ihres Lebens, da sei sie sich ganz sicher, das sei ihr wie Schuppen von den Augen gefallen, als er heute zum Mittagessen gekommen sei, sie wüsste nun, dass sie ihr ganzes Leben lang auf ihn gewartet habe, nur auf ihn, bei Gott, und nun solle er rasch gehen. Er ging, aber zuvor musste sie doch noch einmal das große Glück mit ihren Lippen herausfordern. Noch einmal presste sie ihren Mund auf seinen und ihre Zunge bahnte sich ihren Weg durch seine Lippen, an seinen Zähen vorbei, bis beide Zungen einen absonderlichen, finalen Tanz aufführten. Dann löste sie sich abrupt von ihm und drängte ihn förmlich zur Tür.
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