Maria Trost

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Maria Trost

Maria Trost

Yupag Chinasky

Am nächsten Morgen fand das erste längere Treffen mit dem Heiler statt. Er hatte ihn um sieben zu sich bestellt, also noch vor dem Frühstück, obwohl es Sonntag war. Wenn er nun erwartet hatte, dass der Heiler ihm zuhören würde und er endlich seine Beschwerden beschreiben konnte, statt viele Worte zu wechseln, forderte er ihn schon sehr bald auf, sich auszuziehen. Er solle bitte alles, ja wirklich alles, ablegen und es sich dann auf die Untersuchungsliege bequem machen, die mit weißem Papier bezogen war. Er solle sich möglichst entspannen, seine Gedanken in die Ferne richten, während der Untersuchung bitte nicht reden und sich auch über nichts wundern. Dann begann der Heiler seine Arbeit, für die er zunächst nur seine Händen brauchte. Es lag auch nichts bereit, womit er seine Erkenntnisse hätte festhalten können, kein Papier, kein Diktiergerät, kein Laptop. Erstaunlich war auch, dass er die meiste Zeit die Augen geschlossen hielt und leise vor sich hinmurmelte. Er fing mit den Füßen an, tastete sie intensiv ab, drehte sie, dass die Gelenke leise knackten. Dann konzentrierte er sich auf die Zehen, befühlte die Sohlen, drückte hier, stocherte dort mit einem Finger. Als Nächstes arbeite er sich die Beine hoch, die Waden, das Schienbein, prüfte die Kniereflexe, drückte das Fleisch der Oberschenkel. Als er dann an einem heiklen Punkt angelangt war, scheute er sich keineswegs seine Eier zu befühlen und seinen schlaffen Penis so intensiv zu berühren, das es fast schien, als wollte er ihn zum Leben erwecken oder zumindest wissen, ob das noch möglich sei. Es war noch möglich, danach inspizierte er den Bauch und den Magen, was mit fast schon unangenehm schmerzhaften Griffen verbunden war. Der Oberkörper und die Arme wurden dagegen fast stiefmütterlich behandelt, abgesehen davon, dass er ihn gründlich abklopfte und abhörte, die Lunge und das Herz und dazu brauche er zum ersten Mal ein Gerät, ein altertümliches Stethoskop aus dem letzten Jahrtausend. Die Hände waren wieder interessanter, besonders die Handlinien wurden mit einer Lupe genau inspiziert. Zum Schluss war dann, wie bei einer guten Massage, der Kopf dran. Für die Untersuchung der dort vorhandenen Körperöffnungen kamen weitere Geräte zum Einsatz, eine Taschenlampe, um die Augen anzustrahlen und die Reflexe der Retina zu prüfen, und ein Otoskop um in die Ohren, den Mund und die Nase hineinzuleuchten.
Als die gesamte Prozedur nach etwa einer halben Stunde beendet war, sollte er sich wieder anziehen und auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz nehmen. Nach einer kurzen Weile konzentrierten Schweigens erklärte der Heiler, dass man im Prinzip wisse, was mit ihm los sei. Was an Erkenntnissen noch fehle, werde im Laufe der Woche hinzukommen. Wichtig sei jedoch, dass die Therapie schon jetzt feststehe und dass man sich sicher sei, dass sie ihm helfen werde. Was ihm aber fehle, was seine Problem hervorrufen würde, sagte er ihm nicht. Auf eine dahingehende Frage meinte er nur, dass alles sehr komplex sei und dass man die Einzelheiten gar nicht erklären könnte, selbst wenn man wollte. Letztlich, so der Heiler, habe er auch gar nicht viel von diesem Wissen, was er bräuchte, sei Vertrauen und die Bereitschaft, geheilt werden zu wollen. Und dann sage er noch etwas, was ziemlich merkwürdig und erstaunlich klang. Er, der Heiler, sei nur ein Werkzeug, ohne große Bedeutung, ein Vermittler, eine Art Bildschirm, um ein paar Fakten sichtbar zu machen und die Heilung besser lenken zu können. Das Entscheidende sei der Ort, an dem er sich hier befinde, der power place, an dem konzentrierte Kräfte wirkten und es sei eigentlich nur seine Aufgabe, diese Kräfte auf den Patienten zu lenken und zu erreichen, dass sie richtig wirkten, nicht zu schwach, nicht zu stark, um ihn auch vor Schaden bewahren, denn diese Kräfte seien übermächtig und würden Gut und Böse nicht unterscheiden. Ob er das Gedicht "Der Hexenmeister" von Goethe kenne. Er sei ein solcher Hexenmeister, aber mit viel weniger Macht ausgestattet. Wenn er dem Besen befehle in die Ecke zu gehen, würde der nur lachen, also müsse er dafür sorgen, dass die Geister von vorneherein nur dort fegten, wo sie fegen sollten. Diese Untersuchung habe nicht das Ziel gehabt, herauszufinden, an was er leide, das könne man mit abtasten allein nicht schaffen, da bräuchte man durchaus die Methoden der modernen Medizin, die er keineswegs ablehne, nein, es ginge vor allem darum, herauszufinden, ob er hier geheilt werden könne, ob sein Körper überhaupt aufnahmefähig sei und an welchen Stellen die heilenden Kräfte am besten eindringen und wirken könnten. Er könne ihm aber gerne sagen, dass sein Körper in der Hinsicht ganz in Ordnung sei, körperlich sei er fit und er müsse nur bereit sein, das wirken zu lassen, was als Nächstes kommen würde. Mit diesen etwas kryptischen Bemerkungen entließ der den Patienten und empfahl ihm noch einen ausgedehnten Spaziergang zu unternehmen, da der Vormittag mit den Untersuchungen der anderen Gäste ausgefüllt sei, somit würde erst nach dem Mittagessen etwas Gemeinsames anstehen. Seine nächste individuelle Sitzung fände dann am Dienstag statt, es sei denn, er habe Probleme oder dringende Fragen, dann sei er jederzeit zu sprechen.

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Gedichte auf den Leib geschrieben