Das Mittagessen war, wie schon das Abendessen, reichlich trostlos, er war einfach kein Vegetarier und würde auch nie einer werden. Anscheinend war das nicht nur sein Problem, denn am Nachmittag, als die Gruppe zum ersten Mal zusammensaß und den Worten des Heilers lauschte, sprach der von sich aus das Thema an. Er sagte sinngemäß, dass nicht jeder, der einen Kurs belege auch eine körperliche Entschlackung wolle, für diese Leute könne er das Hotel Pelikan im Ort empfehlen. Es habe eine hervorragende Küche und einen guten Service, allerdings könne man die gebuchte Vollpension nicht erlassen, denn ohne diese Einnahmen könne das Haus "Maria Trost" nicht wirtschaftlich arbeiten und Maria würde in diesem Fall wenig Trost spenden. Wer gehen will, möge gehen, eine Benachrichtigung der Küche sei jedoch wünschenswert. Es stellte sich später heraus, dass er offensichtlich der Einzige war, der mit dem vegetarischen Essen Probleme hatte, alle anderen blieben bei der Stange, aber er nahm schon am selben Abend die Gelegenheit für eine Abwechslung wahr. Obwohl er es nicht ahnte, war dies zugleich der Beginn einer schicksalhaften Begegnung, die sich zu einem Tornado entwickeln sollte, aus dessen Gewalt er sich nur noch knapp befreien konnte. Aber noch war es nicht Abend, noch saßen die Kursteilnehmer zusammen und der Heiler erklärte noch einmal, was er vermutlich schon jedem einzeln erläutert hatte, nämlich das Prinzip des speziellen Einflusses der höheren Mächte, denen die Menschen hier ausgesetzt seien. Wobei er gleich zu Anfang sagte, dass er selbst nicht alles verstünde, keine plausible Erklärung habe, warum hier so manche Wunder geschähen, aber er wüsste, dass sie geschehen und das sei das einzig Entscheidende. Die Gruppe, so der Heiler, würde einige Dinge zusammen machen, einige Übungen, um den Körper zu entspannen und den Geist zu aktivieren. Ganz wichtig sei, dass alle unvoreingenommen diese Kräfte wirken ließen, dann würden sie die Erfolge schon bald spüren.
Am Nachmittag fand die erste spirituelle Sitzung der Gruppe im Freien statt. Man ging geschlossen etwa einen Kilometer einen Waldweg entlang, der sich am Rand des steil aufsteigenden Berges schlängelte. Auf einer Lichtung, die einen neuen, schönen Blick auf das Tal bot, blieben sie und der der Heiler, der eine genaue Vorstellung hatte, wo die Einzelnen sitzen sollten, wies jedem einen Platz zu. Er hatte allen, die nicht auf der Erde sitzen wollten, empfohlen einen kleinen Klappstuhl mitzunehmen. Nun saßen sie in einem lockeren Halbkreis und schauten in das Tal, auf die Felder und Wiesen, auf den Fluss, der hier noch klein und verspielt war und erst später, viel später zu einem mächtigen Strom anschwellen würde, und natürlich auf das Kloster, das, im Licht des Spätnachmittags, einen stillen, friedlichen Anblick bot. Auf der Lichtung war es ruhig, vom Rascheln der Blätter und vereinzelten Vogelschreien abgesehen. Der Heiler, der sich hinter dem Halbkreis einen Platz gesucht hatte, sodass er nun nicht mehr im direkten Fokus der Teilnehmer war, hatte kaum etwas gesagt, sie nur gebeten zu schweigen und ihre Plätze nicht zu verlassen. Falls sie etwas wahrnehmen sollten, innerlich oder äußerlich, sollten sie es einfach hinnehmen, sich nicht wehren, sich nicht wundern. Alles werde gut, es bestünde kein Grund zur Angst. Aber wovor sollte man auch Angst haben, an diesem schönen Sonntagnachmittag auf einer friedlichen Waldlichtung? Es geschah dann auch nichts, abgesehen von ein paar kleinen Windstößen, die etwas unerwartet und wie aus dem Nichts aufkamen und gleich wieder abklangen. Keiner der Teilnehmer schien irritiert oder aufgeregt zu sein. Sie saßen friedlich im Halbkreis, einige beobachteten die Wolken, andere hatten die Augen geschlossen, manche murmelten leise vor sich hin, wie buddhistische Jünger ihre Mantras. Nach etwa einer Stunde trat der Heiler wieder vor sie hin und erklärte die Sitzung für beendet. Er lobte alle für ihr diszipliniertes Verhalten und meinte, die ersten Kräfte kämen immer ziemlich lautlos und er habe bewusst einen Platz ausgesucht, der sehr ruhig sei. Selbst wenn sie hier nichts gespürt hätten, würden sie bestimmt bald merken, dass sie ruhiger geworden seien, als noch bei ihrer Ankunft.
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