Ein wenig Angst hatte er dann doch, als er die Tür öffnete und die glatten Stufen hinabstieg, nackt, wie es ihm der Heiler gesagt hatte. Ein leichter Windhauch kam ihm entgegen, die Kerze flackerte und weil der Gang auch noch eine Biegung machte, sah er den Schein der Glühbirnen aus dem Vorraum bald nicht mehr. Die Grotte, in der er kurz darauf stand, war in der Tat ziemlich eng. Er konnte die Wände gerade noch berühren, wenn er seine Arme ausstreckte. Ihn umgaben zerklüftete, unbearbeitete Steine, voller Risse, eine Felsgrotte, die ihr natürliches Aussehen über all die Jahrhunderte, wohl kaum verändert hatte, vielleicht waren die Wände tatsächlich heilig, gewissermaßen unberührbar, so jungfräulich, wie sie aussahen. Nur der Boden war glatt und eben, vermutlich durch den intensiven Gebrauch. Interessant war die Decke des Raums, es gab keine, jedenfalls war es nicht möglich, im schwachen Schein der Kerze, ein Ende zu erkennen, alles, was man sah, war nur ein schwarzes Loch. Aber von dort oben, wie aus einem Kamin, kam der relativ warme Windhauch, den er schon auf der Treppe gespürt hatte. Er vermutete, dass die Grotte irgendwo im Freien enden würde. Vielleicht kam der Geist, den er hier treffen sollte, von dort oben und brauchte freien Zugang, dachte er leicht amüsiert, denn so intensiv er auch die Wände inspizierte, es gab keine Löcher, die in den Fels hinein führten. Nun ja, dachte er weiter, wer A sagt muss auch merika sagen und es ist wohl an der Zeit, es sich bequem zu machen und der Dinge zu harren, die kommen oder auch nicht kommen würden. Er überlegte, ob es besser sei, sich zu setzen oder stehen zu bleiben, aber eine ganze Stunde stehen, lieber nicht. Der Fels, auf dem er nun saß, war nicht so kühl, wie er gedacht hatte und er konnte sich sogar einigermaßen bequem an eine der Wände lehnen. Er vergewisserte sich noch einmal, wo die Markierung der Kerze war, die bisher nur wenig Wachs verbraucht hatte, dann stellte er den Leuchter neben sich und wartete. Nichts geschah, nur der sanfte Wind strich über seine Haut, keine Geräusche, der Wachsduft der Kerze schien aber intensiver geworden zu sein und deren flackerndes Licht rief seltsame Schatten auf dem nackten, weißen Fels hervor. Er war fast ein wenig enttäuscht, als immer noch nichts geschah. Sollte das alles sein, nichts Spektakuläres, würde sich dieser Aufenthalt wirklich lohnen? Er war doch kein Kind mehr, das an allerlei Brimborium glaubte. Doch noch während er dabei war, über okkulte Phänomene nachzudenken, die in unserer aufgeklärten Zeit wohl fehl am Platz waren, geschah doch etwas, etwas das ihn deutlich verunsicherte.
Ein plötzlicher, heftiger Windstoß löschte die Flamme, tiefste Schwärze umgab ihn. Er war nicht nur irritiert, sondern auch verärgert und machte sich Vorwürfe, weil er keine Streichhölzer mitgenommen hatte und noch mehr weil ihm der Heiler keine mitgegeben hatte, der hätte doch wissen müssen, dass so etwas passieren könnte. Aber er hatte keine Zeit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn der Wind wurde immer heftiger und kälter. Dazu gesellten sich heulende, von der Zugluft verursachte Geräusche, wie man sie aus Kaminen und Schloten kennt. Bald hörte es sich an, wie eine Meute hungriger Wölfe in der sibirischen Taiga oder jagender Coyoten in der Prärie, diese Bilder fielen ihm jedenfalls ein. Er fröstelte, kauerte sich zusammen, suchte mehr Schutz vor der Kälte, vor einem imaginären Angriff, indem er sich klein machte. Doch dann spürte er, wie seltsame Wallungen durch seinen Körper pulsierten, wie das Blut wärmer zu werden schien, wie seine innere Wärme deutlich zunahm, während die äußere Kühle deutlich abnahm.
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